Der 1971 geborene deutsche Tänzer und Choreograf hat heuer seinen großen Auftritt in Österreich: Zuerst in der Sommerszene Salzburg als bestechender Performer in Already played tomorrow und nun mit zwei eigenen Arbeiten in Wien. In Verdeckte Ermittlung rekonstruiert er die Spuren, die der Körper des Tänzers am Tatort Bühne hinterlässt, und bei Ausflug nimmt er im Schauspielhaus über die Analyse einer Butterfahrt die Parameter der Markts, des Entertainments und der Ereignishaftigkeit von Performances unter die Lupe.
Nachbar führt den Tänzer als plaudernden Showmaster vor, eine Methode, die auch sein Kollege Jochen Roller in seinem Stück Perform Performing anwendet. Man könnte dieses Stilmittel als besondere Ausformung eines Spezialgebiets in der zeitgenössischen Choreografie sehen, des "Storytelling", das dem Klischee vom notorisch stummen Tänzer entgegenwirkt. Tänzerische Talkshows funktionieren nur selten, doch Martin Nachbar schafft es bravourös, sein Publikum mit Eloquenz, Intelligenz und Charisma zu überzeugen, ohne in Wettbewerb mit Harald Schmidt zu geraten, in dessen Show ja oft mit performanceanalytischen Mitteln gearbeitet wird.
Auch Ann Liv Young hält nichts vom Tanz in stolzem Schweigen. Geboren in North Carolina, ist sie als Mädchen aus der Provinz auch in New York eine Newcomerin. Ihre trashige Show Melissa Is A Bitch stellt nichts weniger als eine bitterböse Abrechnung mit der puritanischen Scheinmoral und dem pseudoliberalen Sex-and-the-City-Gefasel der Metropolen dar. Mit dadaistischem Getöse überrollt Young sowohl unsere verrottete Pop- als auch die Pornokultur sowie die Dekadenz der Körperlichkeit in den USA und spart dabei nicht mit feministischem Tobak.
Young positioniert sich zwischen Annie Sprinkle, Carolee Schneemann und dem wilden Performanceduo Dancenoise. Doch bei den fünf Tänzerinnen (plus einem Gebrauchsmann) ist eine neue Wut zu spüren, ein Aufmucken gegen jene Depression, die die New Yorker Tanzszene in die Öde eines geschmäcklerischen Ästhetizismus geführt hat.
Im Gegensatz dazu wirkte eine Hommage an die 1995 verstorbene Ausdruckstänzerin Rosalia Chladek anlässlich ihres 100. Geburtstags etwas deprimierend. Ihre Werke erschienen heute wie Kinderstücke, wären sie nicht so pathetisch und belanglos. Im Akademietheater wurden Stückrekonstruktionen gezeigt, deren Qualität die Perfektionistin wohl enttäuscht hätte. Als Vorspann dazu gab es einen hastig zusammengeflickten Film über diese "Pionierin des Freien Tanzes", deren Rolle in der NS-Zeit noch nicht wirklich geklärt ist.