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Verdis "La Traviata" in Salzburg: Ein Abend, der mehr war als nur eine Anna-Netrebko-Show.

Foto: AP /Andreas Schaad

Das gelang dank einem fulminanten und spiel starken Sängeren semble und dem dezenten wie intelligenten Regie konzept von Willy Decker.

Von Ljubisa Tosic

Salzburg – Im Zentrum eines Orkans soll es vergleichsweise ruhig sein. Insofern kann das Große Festspielhaus – bezogen auf die Hektik um die Stimme aus Russland, die Boutiquen absperren ließ, um einkaufen zu können – als solch ein Zentrum bezeichnet werden. Es wurde kein die Regie deformierendes Netrebko- Konzert; irgendwie schien der peinliche Teil des Rummels draußen geblieben zu sein. Und die Liveübertragung hatte paradoxer Weise sogar disziplinierende Wirkung.

Nach der Pause musste es pünktlich weiter gehen, weshalb so mancher mit seinem Sektglas draußen blieb und erst bei Szenenapplaus wieder rein durfte. Den gab es reichlich. Er war mitunter unpassend, zumeist aber kurz. Nur einmal wäre es fast lächerlich geworden, im dritten Akt, nachdem Violetta sehr lyrisch darauf hingewiesen hatte, dass all die rettende Vergebung zu spät kommt.

Einer Dame reichte es nicht mehr, ein bisschen zu klatschen; sie stand auf, um stehende Ovationen zu spendieren. Dunkelheit sei Dank – es gab keinen Dominoeffekt. Auch die Worte von Finanzminister Grasser mögen ernüchternd gewirkt haben. Frau Fiona setzte sich wieder. Es durfte weitergehen.

Der Eindruck großer Publikumsgier passte sogar ganz gut zum Konzept von Willy Decker. Bei ihm ist Violetta in dem manegeartigen weißen Rundbau einer lechzenden Männermasse ausgesetzt, die Decker mit großer Intensität auflud. Und so wie die Bühnenchöre die Publikumsmentalität spiegelten, so schien auch Violettas diese Gier da bedienende, dort fliehende Gehabe Netrebkos ambivalentes Verhältnis zum Diva-Hype abzubilden.

Andererseits: Diese Kurtisane weiß, wie die Ouvertüre, von der Unausweichlichkeit ihres nahenden Endes. Ihre Zeit verrinnt (symbolisiert durch eine riesige Uhr), zumindest aber will sie die Regeln, nach denen sie abzutreten hat, selbst bestimmen. Champagnerselig. Dass echtes Gefühl ent steht, dass in Form von Alfredo die Möglichkeit auftaucht, als Resozialisierte zu existieren, ist jener Kurzzeitraum, dessen Platzen Violettas Ende besiegelt. Sie geht hier an gesellschaftlicher Zurückweisung zugrunde. Der Extrovertiertheit des Feierns (ein Wunder, dass Netrebko am Anfang trotz Verrenkungen singen kann; kein Wunder, dass zwischen Orchester und Stimme zu Beginn die Koordination nicht stimmt) stehen Momente der Einsamkeit gegenüber.

Dazwischen, in diesem kühlen Ambiente, überzeugt vor allem die Kommunikation zwischen den Figuren. Da ist Verspieltheit, wenn Alfredo (intensiv und stimmlich präsent Rolando Villaz´on) und Violetta in den wenigen Glücksmomenten wie kleine Kinder spielen und sich im Liebesnahkampf aneinander nicht sattknabbern können.

Da ist aber auch Brutalität. Die Eifersuchtsszene Alfredos wird zur Vergewaltigung mit Geldscheinen. Er selbst wird von Vater Germont aus dem Gewand gebeutelt (fulminant Thomas Hampson), in einer albtraumhaften Szene mit Alkohol abgefüllt, dann mit Uhrzeigern als Stier aufgespießt.

Decker schafft das Kunststück, dezent zu bleiben und mit Kleinigkeiten Meinung anzubringen. Wie das Glück schwindet, werden die Blümchen blass, Violetta streift den bunten Bademantel ab; und gleichsam als personalisierte Ouvertüre ist der Tod (Luigi Roni, zum Schluss als Arzt) immer zugegen. Netrebko gibt der Figur Kontur, ein allüre- loserer Konzeptdienst ist nicht denkbar; sie ist eine schauspielende Sängerin.

Auch bei ihr, die über makellose Koloraturen verfügt und in der Höhe mit sattem Klang besticht, merkt man, wie fordernd die Personenregie ist. Nur im ersten Akt lässt sie das Tempo drosseln, um Lyrik zu verbreiten. Ansonsten versucht sie, Turn- und Gesangsqualität zu fusionieren. Ihre Rollengestaltung ist eine schauspielerische. Im stimmlichen Bereich beschränken sich ihre Mittel jedoch auf Schönklang und dynamische Facetten. Da bräuchte es wohl mehr an vokalen Farben. Aber welche Intensität!

Carlo Rizzi konnte sie nicht übernehmen. Er sorgte für solide Begleitung, aber mit ihm sind die Philharmoniker nicht mehr als eine große Gitarre. Keine markanten Akzente. Dennoch. Vom stehenden Applaus für Netrebko profitierten alle. Ein Stimmenfest mit szenischer Substanz.

Eine Hochzeit zwischen Karajanismus und Mortierismus. (DER STANDARD, Printausgabe, 09.08.2005)