Markt für Betreuung - Pro von Conrad Seidl

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Das Kinderbetreuungsgeld war eine der frühen schwarz-blauen Erfindungen, geboren aus dem Wettbewerb: Die ÖVP hatte in den Neunzigerjahren massiv an die FPÖ verloren - unter anderem, weil diese mit der Forderung nach Kindergeld für alle Neugeborenen in einen Kernbereich der ÖVP-Themen eingebrochen war. So wurde gemeinsam eine Konstruktion gefunden, die allen gerecht werden sollte ("Geld für jedes Kind"), aber dem "kleinen Mann" zuliebe die Familien von besser verdienenden Unselbstständigen benachteiligt: Während Unternehmerinnen ihr versteuertes Einkommen entsprechend gestalten können, schnappt die Falle für höhere Angestellte und Managerinnen zu.

Wer über der Zuverdienstgrenze verdient, fällt um das Kindergeld um. Gerade jene jungen Frauen, die gut ausgebildet sind und interessante Karriereperspektiven hätten, werden entweder an den Herd gedrängt (widersinnige Botschaft: "Arbeit, gerade gut bezahlte, lohnt nicht") oder vom Kinderkriegen abgeschreckt (noch weniger sinnvolle Botschaft: "Beruf und Kinder sind nicht vereinbar"). Beides ist ziemlich genau das Gegenteil von dem, was in Sonntagsreden gepredigt wird.

Dabei muss man bedenken, dass eine Frau, die mehr als die Zuverdienstgrenze verdient, ohnehin nicht voll für das Kind da sein kann - sie kann und muss in der Praxis wohl Kinderbetreuungsleistungen vom Kinderbetreuungsgeld zukaufen (ähnlich wie Pflegegeldbezieher Pflegeleistungen zukaufen). Ob das nun bei Kinderkrippen, Tagesmüttern oder einfach bei anderen Familienmitgliedern passiert, ist egal: Es kommt auf diese Art Geld in Umlauf, das konkret Arbeit schafft - und im Idealfall entsteht ein Markt für Kinderbetreuung, der endlich die immer wieder beklagten Betreuungslücken schließen würde.

Unsoziales Taschengeld - Contra von Eva Linsinger

Jede Wette: Das Ende der Zuverdienstgrenze wäre auch das Ende des Ausnahmefalls Kindergeldvater. Schlagartig würde deren Zahl von derzeit kümmerlichen drei Prozent ansteigen und die 100-Prozent-Marke erreichen, wenn es völlig egal ist, ob und wie viel zum Kindergeld dazuverdient werden darf. Denn kein Vater (und keine Mutter) wird sich das Kindergeld entgehen lassen, wenn er oder sie ohnehin daneben Vollzeit arbeiten darf. Damit würde das Kindergeld, das als Ausgleich für den Verdienstentgang während der Babypause gedacht ist, in ein Taschengeld unabhängig von Einkommen und Arbeitsdauer umgewandelt - und hätte mit sozialer Treffsicherheit gar nichts mehr zu tun.

Es ist unbestritten, dass der Sozialstaat von Kinderlosen zu Familien umverteilen muss. Bloß: Das Kindergeld hat einen ganz anderen Effekt - es schaufelt Geld von Angestellten und deren ArbeitgeberInnen zu BäuerInnen, Selbstständigen und BeamtInnen. Polemisch ausgedrückt zahlt die Regalschlichterin der Unternehmersgattin das Kindergeld. Mit einer Streichung der Zuverdienstgrenze würde diese Umverteilung von unten nach oben noch verschärft. Außer natürlich, für das Kindergeld für alle würden auch alle bezahlen - aber für diese Änderung sind die RegierungspolitikerInnen derzeit nicht zu haben.

Abgesehen davon hat Österreich schon jetzt eine der teuersten Familienförderungen der Welt. Das Kindergeld kostet derzeit 1,2 Milliarden Euro pro Jahr, ohne Zuverdienstgrenze wären es um mindestens 250 Millionen mehr. Es macht wenig Sinn, die ersten drei Kinderjahre üppig zu unterstützen - und dann bei anderen Sozialleistungen und im Bildungsbereich wieder den Sparstift anzusetzen. Oder will jemand teuer subventionierte Babys, die dann zu Pisa-VersagerInnen werden? (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.8. 2005)