Das diesjährige Wiener ImPulsTanz-Festival war mit seinem vielschichtigen Programm zwischen publikumswirksamen Großproduktionen und radikalen Statements ein durchschlagender Erfolg


Wien – Österreich ist ein kleines Land. Als Bühnennation allerdings entwickelt sich die so genannte Alpenrepublik konsequent zur veritablen Großmacht. Dazu tragen nicht nur Musik-, Theater- und Musiktheaterfestivals sowie zahlreiche Aufführungshäuser bei, sondern zunehmend auch die Tanz- und Performancefestivals und -institutionen sowohl in den Bundesländern als auch in der Hauptstadt.

Diesen Sonntag endet das Wiener ImPulsTanz-Festival, nach 59 regulären Vorstellungen und – ob des Publikumsandrangs – zehn Zusatzvorstellungen von 43 Produktionen mit neun Uraufführungen. Das vierwöchige Großereignis, das im Burg- und Akademietheater, im Schauspielhaus, im Kasino am Schwarzenbergplatz und im Arsenal "gastierte", präsentierte sich in ästhetischer Vielschichtigkeit, ohne in die Schüssel eines beliebig gemischten Programmsalats zu fallen.

Das lässt sich auch bei näherer Ansicht des kuratorischen Gehalts erkennen. Zeitgenössische Perspektiven auf altes und neues Ballett zeigten etwa die Pariser Opéra National und der Choreograf Bernd R. Bienert. Und mit einer Hommage an die Österreicherin Rosalia Chladek wurde auch jener tänzerische Expressionismus sichtbar gemacht, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Alleinherrschaft des Balletts zu brechen begonnen hatte.

Das Spektrum choreografischer Modernismen konnte u. a. an den Werken von Anne Teresa De Keersmaeker, Marie Chouinard und Emio Greco/ PC eingeschätzt werden, während Frans Poelstra und Robert Steijn, Paul Wenninger und Ann Liv Young Einblicke in postmoderne Kunststrategien boten. Auch zeitgenössisches Tanztheater machte seine Bandbreite deutlich: mit europäischen und afrikanischen Kolonialismusdiskursen wie bei Jan Lauwers und Serge-Aimé Coulibaly, mit Gesellschaftskritiken bei Erna Ómarsdóttir und Emil Hrvatin, dem Peeping Tom Collective sowie Helena Waldmann und mit narrativen Experimenten bei Martin Nachbar.

Besonders spannend

Als besonders spannend erwiesen sich Werke, die auf den Status quo der tänzerischen Konzeptualismen schließen lassen: von Jérôme Bel im Rahmen des Programms der Pariser Opéra, von Philipp Gehmacher sowie in den Arbeiten von Etienne Guilloteau und Chris Haring.

Eine diskursive Ausrichtung der Tanzperformance zeigte sich in sehr verschiedenen Formulierungen bei der Schweizer Cie. 7273, bei Taldans aus der Türkei, besonders markant bei Robyn Orlin und Vera Mantero, weiters bei den Österreicherinnen Milli Bitterli und Ingrid Reisetbauer. Zu dieser Linie der neuen Choreografie zählt auch die wilde Musikperformance der belgischen Punkgruppe Poni, deren Project One – eine Kooperation von Musikern, den Tänzerinnen Erna Ómarsdóttir und Kate MacIntosh sowie der bildenden Künstlerin Julie-Andrée T. – zu den künstlerischen Höhepunkten von ImPulsTanz zählte.

In dem Festival zeigte sich auch der internationale Trend weg vom spekulativen Multimediaspektakel hin zu genau kalkulierter Selektion der künstlerischen Mittel unter dem Einfluss der konzeptuellen Strömung seit den 90ern. Das erfolgreiche Jungchoreografen-Format [8:tension] hat sich mittlerweile als ein unverzichtbarer Nukleus des Festivals etabliert und gibt der gesamten Kuratierung insofern Halt, als hier zu sehen ist, ob und wie historische bzw. etablierte Stile im Schaffen der jungen Künstler weiterentwickelt werden bzw. wie gegen sie opponiert wird. Dazu konnten diesen Sommer insgesamt vierzehn österreichische Choreografen ihre Verortung im zeitgenössischen Tanzgeschehen verdeutlichen, und das zum Teil mit beachtlichem Erfolg.

Das gedrängte Programm des Festivals wirkte – selten, aber eben doch – erdrückend auf besonders sensible Arbeiten, eine Schwachstelle, die künftig vermieden werden müsste. Insgesamt zeigte sich aber, dass große Tanzfestivals Publikumshits werden können, wenn zahlreiche kontroverse und experimentelle Arbeiten gezeigt werden. Da gibt es für den Innsbrucker und Grazer Tanzsommer noch viel zu lernen.

Enormer Zuspruch

ImPulsTanz 2005 kann eine Gesamtauslastung von mehr als 99 Prozent vorweisen. Über 42.000 Besucher der Performances, Diskussionsveranstaltungen und Partys, 15.000 Besucher im Workshop-Research-Gelände auf dem Arsenal plus rund 23.000 gebuchte Kurseinheiten ergeben eine Zuspruchsbilanz von mehr als 80.000 Menschen.

Aus den Kartenverkäufen und Kursgebühren lukrierte ImPulsTanz laut Festivalleiter Karl Regensburger rund eine Million Euro. Öffentliche Finanzierungen kommen von der Stadt Wien, hier werden 1,45 Mio. € erwartet, von der EU (450.000 €) und vom Bund (375.000 €). Die Sponsorenleistungen haben einen Gegenwert von 600.000 €. Das Gesamtbudget von ImPulsTanz beläuft sich somit in diesem Jahr auf knapp 3,9 Mio. (DER STANDARD, Printausgabe vom 13./14./15.8.2005)