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Heinrich von Kleist im Rahmen der Salzburger Festspiele als Bad im Aktionismus - unter anderem mit Susanne Wolf (als Penthesilea).

Foto: APA/Neumayr
Premiere von Heinrich von Kleists "Penthesilea" bei den Salzburger Festspielen im Landestheater: Regisseur Stephan Kimmig zerrte das Stück ins superbrutale Hier und Jetzt, setzt auf Aktionismus und überzeugt damit das jubelnde Salzburger Publikum.


Salzburg - Dass Männer und Frauen letztlich nichts anderes aneinander praktizieren können und wollen als totale Unterwerfung und Zerstörung, ist eine mehr oder weniger kunstvoll verklausulierte Dichtereinsicht seit altgriechischen Tragödientagen.

Einfache literarische Sonnenscheine nennen es Liebe, während die sehr oft unter sexuellen Identifikationsproblemen leidenden Nachtmare den gnadenlosen Vernichtungskrieg der Geschlechter in Verse gießen.

Unter den Auspizien allgemeinen Verfassungsverfalles und Desorientierung hätten die Zeichen für die Erschließung eines mit Sprach-Stacheldraht und Glassplittern gespickten klassischen Dramenarreals wie Heinrich von Kleists Penthesilea günstig stehen müssen.

Doch leider ist Stephan Kimmig beim aktuellen Transplantationsakt der von Kleist noch mythologisch kostümierten Endschlacht der Geschlechterapokalypse in die hyperbrutale Gegenwart verkümmerter Großstadt-Kellerkids zu schlampig und fahrlässig gegenüber den Anforderungen des Sprachkunstwerks vorgegangen.

Wippende Prinzessin

Der dezente Regiestar der jüngeren deutschen Theatermacherszene kerkert hier ein modisch verkommenes Erzählerterzett um die modellhaft auf Superlangbeinen wippende Gang-Prinzessin und den nicht ganz so glamourösen Blond-Boybody in einen trostlosen Betonschacht.

In diesem Gammeltroja geilen sich Penthesilea und Achill eher künstlich auf zu Beinahe-Breakdance und Hiphop-Ekstase. Stute und Hengst verbeißen sich hier und schlagen ständig aus - und dies äußerst schwammig kommentiert vom assistierenden Kleist-Personal, das in dieser halbfertigen Inszenierung signalisiert, dass gleichgeschlechtliche Zärtlichkeit der ruhigste Lebenshafen sein könnte.

Warum verlassen die Amazonenkönigin und Achill ihre warmen Clique-Nester, warum müssen sie als zuckende, kreischende, hechelnde Rapiddurchlauferhitzer für zerquetsche Kristallverse und irre Emotionen herhalten, die sie auf supercoole Weise nur simulieren? Kimmig gibt keine Antwort, vielleicht, weil kein Interpret dieses sadomasochistischen Textmonsters an den Kern des Kleist'schen Pessimismus herankommen kann.

Belebte Sinne

Also setzt man auf permanente Überforderung in Schreikrämpfen, in ironisch bis kitschig symbolisierte und choreografierte Koitalakte und Zweikampfgemetzel. Susanne Wolff gelingt in der Titelpartie gerade noch der Spagat zwischen Spastik und Artikulation, der propere Achill des Alexander Simon ist ihrer Exzentrik nicht gewachsen.

Zwischendurch belebt dann auch handelsübliches Mineralwasser samt figurbetonenden Gieskannen-Güssen die Sinne der Protagonisten wie auch der Zuschauer, die sich über weite Strecken des ohnehin auf kaum zwei Stunden gestauchten Trauerspiels mit Sprechgeröll zufrieden geben müssen. Man kann es durchaus sagen: Hier liegt wohl das größte Defizit des scheinbar interessanten Kleist-Crashabends bei den diesjährigen Salzburger Festspielen. Der Wahnsinn des entfesselten Begehrens, des Hasses auf die lockende Geschlechterdifferenz und der Selbstbestrafung verlieren sich im blinden Spiegel eines trivialen Aktionismus.

So ist es ziemlich klar: Wer Angst vor dem Sprachoratorium hat, der sollte auf diesen Autor lieber verzichten. Ob sich die kühlen Hamburger später im Thalia Theater auch so leicht begeistern lassen wie nun deutlich hörbar die Festspielsalzburger im Landestheater, ist das kleinste Fragezeichen hinter dieser flapsigen Skizze. (DER STANDARD, Printausgabe vom 16.8.2005)