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Begegnung mit einer guten alten Tanzbekannten: Pina Bauschs "Nelken" bei den Salzburger Festspielen.

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Salzburg - Was vor 23 Jahren im deutschen Wuppertal für Protesteinlagen beim Publikum sorgte, provoziert heute während der Salzburger Festspiele in der Felsenreitschule immer noch herzhafte Buhgesänge. Das Tanztheater Nelken von Pina Bausch, die am 27. Juli ihren 65. Geburtstag gefeiert hat, wurde am 30. Dezember 1982 uraufgeführt und ist heute ein unbestreitbarer Klassiker der Tanzmoderne.

Bauschs Einfluss auf die internationale Choreografie ist bis in die jüngste Gegenwart des Postkonzeptualismus zu spüren - so ließen sich etwa markante Stilelemente aus "Nelken" in dem kürzlich bei ImPulsTanz gezeigten Stück "We are all Marlene Dietrich FOR" der Iceland Dance Company erkennen. Darüber hinaus hat die Künstlerin auch das allgemeine Verständnis von Gegenwartstanz maßgeblich mitgeprägt:

Der Begriff "Tanztheater" wird immer noch so gern wie fälschlich über alle choreografischen Werke gestülpt, die nicht eindeutig dem Ballett zugeordnet werden können. Nelken ist ein Werk aus Bauschs Blütezeit, die von 1980 (Bandoneon) bis 1990 (Die Klage der Kaiserin) anhielt. Danach wurde das Tanztheater von der Stärke und Originalität der belgischen Choreografie - vor allem durch Keersmaeker, Fabre, Vandekeybus und später Meg Stuart - überdeckt.

Seitdem wird Bausch seltener von den internationalen Festivals eingeladen, aus Kostengründen, aber auch, weil ihre Arbeit nicht mehr ins Bild des Gegenwartstanzes zu passen schien. Im genuin gegenwartsbezogenen Tanz ist es unzeitgemäß geworden, historische Stücke leichtzüngig als "dated" abzutun, und so gilt es auch, das Werk des Tanztheaters Wuppertal unter den Gesichtspunkten der Gegenwart neu zu entdecken.

Nicht mehr aus konservativer Sentimentalität, sondern weil es Kontextflächen sowie Vergewisserungsräume und deshalb wieder genügend Reibungspunkte bietet. Das hat bereits Jérôme Bel mit seinem Versuch gezeigt, ein Stück von Bausch zu entführen. Sie hat es ihm nicht erlaubt, und so ist 1998 Susanne Linkes Wandlungen in Bels berühmtes Werk "The Last Performance" eingeflossen.

Es wäre falsch, "Nelken" als "frisches" Werk zu bezeichnen, aber es beschwört beispielhaft die Spätzeit der 1970er-Jahre und darin den Versuch, Utopien mit moderaten Mitteln so zu entwerfen, dass ein konservatives Publikum gewitzt und liebevoll aus der Reserve gelockt werden konnte. Im Vergleich dazu gibt sich "We are all Marlene Dietrich FOR" punkiger, erinnert eher an Reza Abdohs Apokalypsen als an die Wuppertaler Gefühlskisten.

Mit Raimund Hoghe (Dramaturg von Nelken), wurden Bauschs Ansätze während der 1990er-Jahre in eine deutsche Interpretation des ansonsten eher französisch geprägten Konzeptualismus übertragen. (DER STANDARD, Printausgabe vom 16.8.2005)