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Austreibung des Absolutismus in Krähwinkel: Wolfram Berger tanzt in Nestroys Posse als Journalist Ultra der Regierung den Freiheitstanz.

Foto: REUTERS/Herwig Prammer

"Freiheit in Krähwinkel" ist kabarettistisches Kunstgewerbe ohne den Funken einer antreibenden Idee.

Wien – Im letzten Glutnest des Absolutismus, im stellvertretend für Österreich erfundenen Krähwinkel, soll anno 1848 die Freiheit Einzug halten. Doch im Rahmen der von Michael Schottenberg an seinem eigenen Haus ausgerichteten Kasperliade passt vom Symbol des Aufruhrs, der riesigen roten Fahne, nur deren Stange in die gute Stube der Revolution. Was tun?

Eine vife Kaffeeklatschbase mit gegeltem Mittelscheitel (Günther Wiederschwinger) greift zur Fuchsschwanzsäge. "Freiheit muss sein! / Wir erringen s', und sperren s' uns auch leb'nslänglich ein."

In der von Absichtslosigkeit und schlechten Witzen (z.B. über die Geistlichkeit) gekennzeichneten Volkstheater- Neufassung von Michael Schottenberg und Peter Ahorner wird Johann Nestroys Posse Freiheit in Krähwinkel selbst in diesem einzigen wirklich gefundenen Bild zum absoluten Leergut heruntergespielt. Als wäre in dem Gefäß nie etwas drinnen gewesen!

Revolte mit Sturmfrisur

Schottenberg verfolgt einen alten auswechselbaren Revolutionstraum, den er sich mit dem roten Stern auch als Trademark auf sein Theater setzen ließ. Wie überdauert dieser ist und wie dringend er neu zu fassen wäre, und wie sehr darin Nestroy zur Krücke verkommt, davon legt seine erste Inszenierung als Volkstheaterintendant ihr bitteres Zeugnis ab.

In drei kunstgewerblichen Stunden (inklusive Pause) läuft ein auf Hallodri mit Sturmfrisur getrimmter Wolfram Berger als Fahnen- und Federschwinger Ultra den auf Nestroy'schem Sprachwitz gebohnerten Weg der spaßigen Selbstbefreiung. Er wettert gegen die Zensur (als sein journalistischer Gevatter tritt Schottenberg selbst in den Ring) und – aktualisiert! – gegen das Mietrecht. Das ist pures Kabarett.

Nicht mehr als kabarettistisch bleiben auch die Verkleidungsauftritte als Don Camillo im Haus des Geheimen Rats und seiner bigotten Gattin (Erwin Ebenbauer, Maria Bill) oder als Feldherr in der Russendelegation, in der Christoph W. Krutzler als Nachtwächter mit einem Iwan-Rebroff-Verschnitt Lacher holt.

In der Metternich-Szene senkt sich das Niveau des Abends in überspannter altösterreichischer Lautmalerei auf den Tiefpunkt: "Besuchen Sie mich in London, bei Madame Tussaud's!" (Metternichs Exil war London).

Schottenberg übertüncht die Ausgeträumtheit seines Traums mit bühnentechnischen Lösungen: Das von Erika Navas in historisch verbrieften Kalabresern behütete Volk von Krähwinkel und seine nicht gerade originellen Details (rote Nelken, Bierkrüge) fokussiert er ausschnitthaft in raffinierten Zooms, als wär's eine Kamerafahrt quer über die Bühnenfront. Das war schlicht schön, das Publikum gab dafür sogar Szenenapplaus.

Wie soll dieser historische Karren aber im Heute ankommen? Ganz einfach: Schottenberg lässt die große, grell-helle Bühnenverhörzelle Hans Kudlichs, die im zweiten Teil als Kleinversion genügt, kurz vor Schluss bis auf die Feuermauern des Hauses abtragen, jagt alle Darsteller (u.a. Rainer Frieb als verknöchertes Kanzlerl, Paul Matic als dichtendes Stadtsekretärerl, Claudia Sabitzer als herrische Frau von Frankenfrey, Andy Hallwaxx als gewitzter Beamter Siegl) in Trenchcoats und weißen Jeans auf die leer gefegte Bühne und ruft das 21. Jahrhundert aus! Das gibt's! (DER STANDARD, Printausgabe, 15.11.2005)