Graz - Opernenthusiasten - Achtung: Neben Bratislava ist neuerdings auch Graz ein lohnendes Reiseziel.

Und dies - wenn auch nach der medialen Verdiorgie des vergangenen Salzburger Festspielsommers kaum zu glauben - ausgerechnet mit einer neuen während und nach der Premiere am vergangenen Samstag heftigst bejubelten Traviata. Auch an der Mur regt sich an- und bisweilen aufregendes Verdi-Leben.

Den Pulsschlag dieses Lebens, die unterschiedlichen Varianten seiner durch Emotionen motivierten Hast, sein Stolpern in der Rhythmik des Trauermarsches und seinen schließlichen Stillstand bestimmt, so wie man es sich eigentlich bei jeder Opernaufführung wünschte, diesmal das auf höchstem interpretatorischen Niveau agierende Orchester.

Und in erster Linie freilich der Dirigent Peter Schrottner als der eigentliche, maßgebliche Gestalter dieses Abends. Motiviert durch seine hohe Romantikkompetenz implantiert er in Giuseppe Verdis melopsychologische Meisterstrukturen noch zusätzlich ein Quantum an elementarer, abgründiger Direktheit. Dies führt nicht nur zu einem geradezu kaleidoskopischen Spektrum dynamischer und rhythmischer Schattierungen, sondern auch zu Neu- und Umtönungen akkordischer Schichtungen, deren Ergebnisse in ihrer Intensität beinah den Geist von Monteverdis Uropern beschwören.

Pastell-Elegie

Eine solche die Emotionskurven der Handlung seismographisch nachzeichnende musikalische Interpretation erweist sich naturgemäß als ideales Fundament für die szenische Realisierung, das Dietmar Pflegerl als Regisseur größtenteils auch bestens zu nutzen wusste. Die von Schrottner angebotene Vielschichtigkeit, wenn man möchte, auch durch heftige Stimmungswechsel bedingte Brüchigkeit hat Pflegerl vor allem im ersten Bild des zweiten Aktes auf virtuose Weise sichtbar gemacht.

Die Szene zwischen Alfreds Vater und Violetta wird vor allem auch in der von Herbert Murauer als Bühnenbildner in elegischen Pastellfarben angedeuteten unruhigen Strandlandschaft zu einem sensibel gestalteten Seelenmatch, wie man es sonst nur bei Ibsen oder Schnitzler erwartet.

In dieser, vielleicht stärksten Szene der ganzen Oper wurde sehr eindringlich spürbar, wie wenig wohl sich Vater Germont in seiner spießbürgerlich trübseligen Mission fühlt, Violetta zum totalen Beziehungsstopp mit seinem Sohn Alfred zu zwingen.

In einer solchen inszenatorischen Folie und zusätzlich begünstigt durch eine feinfühlig mitatmende Orchesterbegleitung lief das Protagonistentrio zu imponierender Hochform auf. Und dies nicht nur in dieser Szene.

Publikumsjubel

Tatsächlich lieferte Vladimir Chmelo als Vater Germont nicht nur eine imponierend disziplinierte darstellerische Studie, auch die kundige Weise, auf die er seine berühmte Leierkastenarie auch musikalisch nuancenreich in die dramatische Situation einbrachte, verdient höchste Anerkennung, die ihm das jubelnde Publikum auch nicht schuldig blieb.

Adriana Damato erwies sich stimmlich für die Violetta bestens gerüstet und steigerte die Eindringlichkeit ihrer Gestalt von Szene zu Szene bis zu einem sowohl darstellerisch als auch musikalisch bravourös gestalteten Finale. Nicht ganz einleuchtend war die relative Reserviertheit, mit der das Publikum auf Bülent Külekci als Alfred reagierte.

Sein Spiel war temperamentvoll, sein Tenor hat Schmelz und Kraft, und die Musikalität, mit der diesen einsetzt, ist beträchtlich. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.11.2005)