Zum Abschluss der STANDARD-Serie diskutierten fünf Bildungsexperten unter der Leitung von Innenpolitik-Chef Michael Völker bei der "Debatte im Dschungel" am Donnerstag im Wiener Museumsquartier

Sarah zum Beispiel. Die Zehnjährige repräsentiert eines der zwölf "Gesichter der Schule", die DER STANDARD in den vergangenen zwei Wochen porträtiert hat. Eltern, Lehrer, Direktoren, Inspektoren - Schule sollte aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden.

Zum Abschluss der Serie diskutierten fünf Bildungsexperten unter der Leitung von Innenpolitik-Chef Michael Völker bei der "Debatte im Dschungel" am Donnerstag im Wiener Museumsquartier - und starteten erst einmal mit Grundsätzlichem:

Faule Lehrer

Lehrer bekommen vom wirklichen Leben nichts mit, weil sie ihres in der Schule verbringen. Lehrer sind ungerecht. Lehrer haben einen Halbtagsjob mit einmaligem Urlaubsbonus. So die häufig verbreiteten Klischees über jenen Berufsstand, der das Bild der Schule wesentlich prägt.

Peter Schweinberger (19), Schüler an der HAK Gänserndorf, kennt beides - "sehr gute, engagierte Lehrer" und solche, "auf die diese Vorurteile zutreffen". Schweinberger: "Es gibt Professoren, die mir zwei Jahre lang das BWL-Buch vorgelesen haben. Aber lesen kann ich selbst. Ich hätte mir eine Erklärung gewünscht."

Für AHS-Elternvertreterin Christine Krawarik ist klar: "Es kann nicht jeder Lehrer werden", gegen ein Auswahlverfahren im Laufe des Studiums hätte sie nichts. Denn für Krawarik muss ein "ausgezeichneter Lehrer eine Selbstverständlichkeit" sein, "immerhin vertrauen ihnen die Eltern ja das Beste und Wichtigste an, was sie haben".

Die Qualität der Lehrerausbildung ist für Christiane Spiel, die Dekanin der Psychologischen Fakultät der Uni Wien, aber nicht der einzige Teil für ein erfolgreiches Ganzes. Statt einer "Bestandsaufnahme mit Schuldzuweisungen" wünscht sie sich Gesamtstrategien. Denn die würden derzeit "überhaupt fehlen". Die Politik hat für Spiel hier "eine eigene Logik", häufig werde auf reinen Aktionismus gesetzt. "Es wurde vieles angegangen, aber das zentrale sehe ich dabei noch nicht." So fehle etwa auch eine Schnittstelle, die die zahlreichen Erkenntnisse der Wissenschaft zum Thema direkt vor Ort an den Schulen umsetzt.

Migrationsexpertin Barbara Herzog-Punzenberger lenkte die Aufmerksamkeit auf Schwierigkeiten bei der Integration. Denn die Schule sei der "Brennpunkt, wo sich zeigt, was versäumt wurde". Wie etwa ein größeres Sample von Schülern mit Migrationshintergrund bei der nächsten Pisa-Studie: Anders als Deutschland habe Österreich auch für die Erhebung für 2006 keine größere Zahl speziell dieser Kinder hineingenommen - "das scheint nicht wichtig genug".

Dabei wären gerade Probleme bei der Integration einer jener Bereiche, die dringend angegangen werden müssen, befand auch Hauptschuldirektor Leopold Plasch. Zwar hätten von 80 Prozent seiner Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, nur rund 10 Prozent dadurch auch Schulprobleme, an Begleitlehrern für deren sprachliche Förderung mangelt es ihm aber kräftig (siehe unten stehender Artikel). Und große Hoffnungen, dass er von jenen 300 zusätzlichen Begleitlehrern, die Finanz-und Bildungsministerium nun zugesagt haben (deren Finanzierung aber noch weit gehend ungeklärt ist), auch einen abbekommt, macht sich Plasch nicht.

Dabei sind die Sprachkenntnisse der Kinder für Elternvertreterin Krawarik "nicht immer das Entscheidende". Mehr und mehr gehe es darum, Brücken zwischen den verschiedenen Kulturkreisen zu schlagen. Erst unlängst hat die Mutter von vier Kindern einen türkischen Vater erfolgreich überredet, seine Tochter doch auf eine Schüleraustauschreise mitfahren zu lassen. Ihre Erfahrung ist: "Ich habe gelernt, dass man ja nie sagen darf, sie müssen sich anpassen."

Das sei auch nicht der geeignete Weg, befanden Herzog-Punzenberger und Christiane Spiel: Es gäbe "keine Alternative zu sprachlicher und kultureller Vielfalt", statt einer "Kultur der Assimilation" müsse eine "Kultur der Integration" gefördert werden.

Spiel: "Die Schule ist der Ort, an dem die Kulturen zusammenkommen." Anders als im Privaten, wo sich die einzelnen Gruppen separieren könnten, gäbe es hier einen gewissen Zwang zum Gemeinsamen. Zwang in Form von verpflichtenden Sprachkursen ist für Migrationsforscherin Punzenberger hingegen "ein wirklicher Unsinn". Denn die Bildungserfahrungen von Kindern würden nicht mit dem Sprachkönnen der Eltern zusammenhängen: "Bei Weitem aussagekräftiger ist der soziale sowie der Bildungshintergrund der Eltern."

"Frühe Selektion"

Kinder, deren Eltern über ein geringes "Bildungskapital" verfügen, entkommen dieser Laufbahn nur schwer: "Das österreichische Schulsystem reproduziert relativ stark die Schichtzugehörigkeit - auch bei Inländern." Das liege auch an der "Selektion zu einem sehr frühen Zeitpunkt".

Dass Integration zwar eines von zehn Unterrichtsprinzipien ist, dafür aber die notwendigen Materialien fehlen, ist nur einer jener Punkte, die von der Politik konkret angegangen werden könnten. Die im Unterricht vermittelten Inhalte spiegeln derzeit nicht die Erfahrungen von Kindern mit Migrationshintergrund oder deren Eltern wider, weiß Herzog-Punzenberger. Dabei wäre es eine "wichtige Botschaft an diese Gruppe", dass man ihren Beitrag zum Wohlstand des Nachkriegsösterreich auch thematisiert.

Leopold Plasch fordert erst einmal Grundsätzliches ein: "Zuerst müssen die Ressourcen so erweitert werden, dass man überhaupt daran denken kann, solche Lösungsansätze anzugehen." Bislang lautet die politische Devise nur: Sparen. (DER STANDARD-Printausgabe, 26.11.2005)