...ist in seiner Regie ein unkonkretes Adventsfriedensspiel mit Carmen-Maja Antoni in der Titelrolle.


Berlin – In dem berühmten Stück Mutter Courage und ihre Kinder von Bertolt Brecht geht es um den Krieg. Es wird aber meistens im Frieden gespielt, deswegen ist die erste Frage, die ein Regisseur für sich beantworten muss, welchen Krieg er denn meint. Claus Peymann gibt in seiner neuen Inszenierung, die am Samstag am Berliner Ensemble Premiere hatte, eine klare und eine undeutliche Antwort.

Die klare Aussage betrifft den Untertitel des Stücks: Eine Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg. Das hat Peymann einfach gestrichen, und alle Anspielungen auf König Gustav Adolf und Feldhauptmann Tilly auch. Die undeutliche Antwort betrifft die Gegenwart, in der diese Aufführung sich zuträgt. Das Jahr 2005 in Berlin – drei Jahre ist es her, dass Deutschland sich dem Irakkrieg entzogen hat, zwei Jahre ist es her, dass Peter Zadek am Deutschen Theater eine Mutter Courage mit Angela Winkler so eingerichtet hat, dass ein Kritiker von einem "Spätsommerfest" geschrieben hat. Das sind Koordinaten, um die Claus Peymann auch auf der abschüssigen Bühnenscheibe nicht ganz herumspielen lassen kann, die Frank Hänig ins Berliner Ensemble gebaut hat.

Hier muss der Wagen herumgeschoben werden, in dem Mutter Courage ihre Waren und ihre Kinder versteckt. Der abstrakte Raum wird konkret nur durch die Kostüme und die Maske. Frühes 20. Jahrhundert? Im Westen nichts Neues? An den Uniformen klebt Kalk, die Gesichter sind dunkel beschmiert.

Das Kreuz ist das Leitzeichen dieses Kriegs, aber es kein rotes, sondern ein schwarzes Kreuz. Dieser Krieg ist nicht steril und technisch, denn die, die ihn führen, sind schmutzig und dekadent. Die, die ihn einrichten, haben aber einen ausgeprägten Sinn für Stil und Qualität.

Das Licht von Karl-Ernst Hermann und Ulrich Ehist trügerisch friedlich; die live eingespielte Musik webt einen feinen Teppich für die gesungenen Berichte von dem, was die Grobiane den Frauen angetan haben; die Schauspieler betonen alle, dass die Brecht- Texte ein wenig klüger sind als die Brecht-Theorie. Und Claus Peymann weiß, dass ein paar anbandagierte Kilos an Schenkeln und Hüfte der doch eigentlich so schmalen Ursula Höpfner in der Rolle der Yvette mehr über die Kriegsgewinnler erzählen, als es eine Statistik jemals könnte.

Worum geht es hier?

Bleibt also die Frage, worum es in diesem berühmten Stück eigentlich geht? Darum kümmert sich Claus Peymann nur am Rande. Diese Mutter Courage spielt sich mehr oder weniger von selbst. Der "Krieg als riesiges Feld", wie Brecht im Programmheft zitiert wird, "nicht unähnlich den Feldern der neuen Physik, in denen die Körper merkwürdige Abweichungen erfahren", wird am Berliner Ensemble so weit entschleunigt, dass die Abweichungen an den Körpern jederzeit in der Kontrolle der Schauspieler liegen.

Christina Drechsler in der Rolle der stummen Kattrin geht zu Herzen, weil sie das nicht darf, was alle ihre Kollegen so gut können: sprechen. Carmen-Maja Antoni aber legt ihre Hauptrolle so an, wie das im Schutz und im Schatten einer großen Bühnentradition einzig möglich ist: Sie spielt nicht psychologisch oder experimentell, sie pflegt die Courage auf offener Bühne, poliert sie an manchen Stellen, staubt sie an anderen ab, und bringt sie so zum Leuchten, wie es einer wertvollen Antiquität angemessen ist.

Berlin hat nun eine neuwertige, wunderbare Mutter Courage. Claus Peymann, der mit Carmen-Maja Antoni schon Brechts Die Mutter inszeniert hat, befindet sich nicht mehr im Krieg. Er hat seinen Frieden gemacht – mit Brecht gegen Brecht für die Brecht- Klassik. Die Friedensverhandlungen verliefen harmonisch. Am Berliner Ensemble sind alle zufrieden. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.11.2005)