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Keine Angst! Steve Davislim (als Idomeneo) muss Monica Bacelli (als Idamante) nicht erdolchen.

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Neue Ära an der Mailänder Scala: Stéphane Lissner, auch Musikchef der Wiener Festwochen, übernahm das krisengeplagte Opernhaus und lud zur Saisoneröffnung seinen Wiener "Vorgesetzten" Luc Bondy ein, Mozarts "Idomeneo" zu inszenieren.


Wenn Dinge bereits ein gehöriges Weilchen existieren, scheinen sie schließlich immer schon da gewesen zu sein. Und selbst die Vorstellung, sie würden nicht bis in alle Ewigkeit bestehen bleiben, mutet sonderbar an. Mitunter jedoch legt die Geschichte dann plötzlich und heilsam einen Zahn zu und lässt, als wollte sie etwas aufholen, in kürzester Zeit mehr passieren als in den vielen Jahren davor.

Fast 20 Jahre nachdem er seinen Job an der Mailänder Scala angetreten hat, nur ein Jahr nachdem er das um 61 Millionen Euro umgebaute, schon 227 Jahre bestehende Haus der Opernemotion mit Salieri glanzvoll wiedereröffnet hat, weilt Dirigent Riccardo Muti also nun in Wien und harrt der samstägigen, durch ihn zu adelnden Mozart-Repertoirevorstellung an der Wiener Staatsoper, während ein anderer, Stéphane Lissner, nun an der Scala seine erste Saison startet.

Es ging ganz schnell. Scala-Intendant Carlo Fontana stritt mit Muti und musste gehen, es kam Mauro Meli, ein Muti-Vertrauter, den wiederum die Scala-Belegschaft nicht zu akzeptieren gedachte und dies durch einem Streik untermauerte - zudem hatte der Belegschaft auch ein Minus von 18 Millionen Euro (das man Fontana anlastete) Sorgen bereitet. Eine Premiere musste abgesagt werden, schließlich trat Muti tatsächlich zurück, kurz danach auch Meli - und ehe man sich versah, war der Mann aus Frankreich da.

Scala halbieren

Kaum dass er sein Programm beisammen hatte, kam die italienische Regierung allerdings auf die Idee, das Kulturbudget des Landes um etwa 200 Millionen Euro zu kürzen, was auch die Scala betreffen würde. Silvio Berlusconi wetterte zudem, man könne die Belegschaft der Scala locker halbieren. Auch störte ihn, dass man die Balletttänzer zu lange nach ihrem Karriereende pensionsmäßig unterstütze. Diese wiederum, unter ihnen auch ein Schwiegersohn Berlusconis, drohten mit Streik. Allerdings wegen der unpraktischen Umkleideräume, die ihnen der Umbau des Hauses beschert hatte.

Lissner, der samt Familie nach Mailand zog, hat also keinen ganz unspannenden Job, aber mit Sicherheit gute Nerven. Und im Lichte all der Turbulenzen will man es schon als spektakuläre Kleinigkeit werten, dass der Vorhang zur Saisoneröffnung im Mailand überhaupt hochging. Weil er dann tatsächlich hochging, war man natürlich gleich wieder unbescheiden und erwartete dem Ruf des Hauses Angemessenes. Wozu auch gehört, die Scala regiemäßig in die Gegenwart zu führen, nachdem Muti jahrelang seinen eher der Historie zugetanen Geschmack szenisch bedienen hat lassen.

Betrachtet man die Regiefeuerwehraktion, die Festwochenchef Luc Bondy gestartet hat, um seinem Wiener "Mitarbeiter" Lissner aus der Planungsnot zu helfen, lässt sich allerdings - zumindest nach diesem Idomeneo - schwer vom Beginn einer glanzvollen neuen Ära sprechen.

Am ehesten kann man noch Dirigent Daniel Harding zubilligen, zart ans Tor des Hochkarätigen geklopft zu haben. Es dauert allerdings auch bei ihm bis etwa zur Mitte des dritten Aktes, bis er sich auf Basis eines schlanken, durchsichtigen Schönklangs entschloss, aus schüchterner Zurückhaltung auszubrechen und dramatisch-gestalterisch aktiv zu werden. Bis dahin hatte er sich damit begnügt, durch Klang etwas Zauber zu versprühen; man hatte das Gefühl, die Musik würde einer Person gleichen, die elegant zehn Zentimeter über dem Boden schwebt - dabei aber leider im Tiefschlaf ruht.

An Bondys Arbeit große Inspiration zu erkennen, fällt hingegen schwer. Konventionell schleppen sich Mozarts konflikt- und sehnsuchtgebeutelte Figuren über die Bühne; nicht selten zur Rampe hin, wo sie eine ziemliche Weile ausharren. Auf einer Schräge bieten ihnen Felsen Sitzgelegenheiten, eine Art Flagturm zur Rechten befriedigt Anlehnungsbedürfnisse.

Miese Götterlaune

Dahinter: Ein wanderndes Gemälde von Meer und Wellen in jeder Heftigkeitsgröße (Bühnenbild Erich Wonder) - je nach Zornpegel der Götter eben, die ihre miese Laune auch durch Trockeneisnebel ausdrücken, bis schließlich ein aus dem Boden aufsteigender riesiger Ziegelstein orakelhaft zum Happyend ruft. Das war illustrativ, plakativ und mitunter peinlich. Etwas als das erlegte Ungeheuer zu einem, ein Drittel der Bühne bedeckenden orange-roten, atmenden (!) "Teppich" mutierte, dem von Idamante (solid Monica Bacelli) ein letzter Todesstich versetzt wird. Ähnliches hat man schon bei Monty Python gesehen. Dort war's aber nicht so ernst gemeint.

Die Sänger agierten nicht auf so tiefem, aber auch nicht auf höchstem Niveau: Camilla Tilling (als Ilia) verfügt zumindest über eine schöne Stimme, und sie war etwas weniger unstet in ihrer Leistung als Steve Davislim (als Idomeneo), der über kostbares Material verfügt, aber im Würgegriff der Koloraturen keine gute Figur machte. Beiden hätte man etwas von jener Energie gewünscht, die Emma Bell (als Elettra) so deutlich zur Schau stellte, als hätte sie sich aus einer Richard-Strauss-Oper herüber beamen lassen. Wirklich tadellos wirkte nur Francesco Meli (als Arbace).

Na, ja. Es wird schon. Vielleicht nicht nächstes Jahr, da eröffnet die Scala mit Aida in der Version von Regiegroßvater Franco Zeffirelli. 2007 gibt es immerhin aber einen Tristan mit Regisseur Patrice Chereau und Dirigent Daniel Barenboim. Vorerst lässt sich sagen: Es wird wieder Oper gespielt, Sänger und Dirigent werden bejubelt, die Regie ausgebuht. Alltag gewissermaßen. Nur draußen, vor der Oper, wird wegen Budgetkürzungen eine Künstler-Demonstration abgehalten ... (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.12.2005)