Foto: © Alexander Ch. Wulz
Wien - Wenn sich etwas ereignet, das einen Schnitt in die vertraut scheinende Wirklichkeit setzt, stellt sich stets die Frage, wer oder was dabei Regie führen mag. Bleibt die Antwort aus, entsteht eine Pause der Atemlosigkeit, die in die Erörterung führen kann, was denn das rätselhafte Strippenziehen treibt. Bei dieser Unterbrechung setzt das Stück Régi des großen französischen Choreografen Boris Charmatz an, das im Tanzquartier Wien uraufgeführt wurde.

Im Halbdunkel der Black Box verrichtet ein mehrfach geknickter Kranarm eine Arbeit: Er windet ein Seil ein, das an den oberen und Seitenkanten, am Boden und an den Wänden der Bühne befestigt ist, eine überdimensionale Marionettenschnur, die in zwei Figuren endet, welche, am Ende eines sirrenden Suspense hochgezogen, teilnahmslos auf- und abschweben. Ein kleiner Mann erscheint, manipuliert das doppelte Körpergut, und Michael Jackson besingt Billie Jean: "She was more like a beauty queen from a movie scene / I said don't mind, but what do you mean I am the one / Who will dance on the floor in the round . . ." Der kleine Mann ist der Starchoreograf und Tänzer Raimund Hoghe.

Die Gewissheit

Die Kooperation von Charmatz und Hoghe (unter der Choreografie des Ersteren) bedeutet für den Tanz, was eine Zusammenarbeit von David Lynch und Lars von Trier im Film heißen könnte: eine Aushebelung scheinbarer künstlerischer Gewissheiten. In Régi falten sich die Ästhetiken und Zugänge der beiden Künstler ineinander, die Intensitäten von Charmatz' bahnbrechender Arbeit Con forts fleuve und Hoghes nicht minder gewaltigem Werk Tanzgeschichten.

Die Rolle der Billy Jean fällt der Tänzerin Julia Cima zu, die von einem zweiten Gerät, einem breiten Förderband, aufgesogen und manipuliert wird, während die beiden Männer miteinander in einem Aktduett verschmelzen.

Aber der durch den von dem Jackson-Song projizierte Plot bleibt ein Hilfskonstrukt. Die eigentliche "Geschichte" ist eine von Metaphernmaschinen, die in der Black Box aufreizend gleichgültig Diskursfunktionen erfüllen, damit wir Weightwatchers der Wirklichkeit etwas näher an die Antwort auf die Regiefrage kommen. Wenn Hoghe am Ende in einem weiten, schwarzen Mäntelchen als Agent von gestischen Relikten des Tanztheatersaurus Pina Bausch geistert, öffnet sich das Ei des Aliens "Bühne".

Die Form einer Dringlichkeit, eines übergreifend Regie führenden Bedürfnisses nach "Aufklärung der Verhältnisse", kriecht hervor. Dieser Coup macht Régi zu einem Meisterwerk, das vom Premierenpublikum mit Begeisterung aufgenommen wurde. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.1.2006)