Wien - Was die Elite-Uni mit dem Niederösterreichischen Bauernbund zu tun hat, was im ruralen Ambiente dort entstehen soll, wer in Österreich was studieren darf und wie die Unis in ihrer finanziellen Dürre überleben können: Der Bogen war breit gespannt beim UNISTANDARDtalk.

Zum Thema "Elitefalle oder Bildung für alle" diskutierten Dienstagabend SPÖ- Parteichef Alfred Gusenbauer, die nicht amtierende Wiener Stadträtin Katharina Cortolezis-Schlager (ÖVP) - sie vertrat ÖVP-Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel -, Philosoph Konrad Paul Liessmann und ÖH-Vorsitzende Barbara Blaha (VsSTÖ). Die munteren, von Vorwahlgeplänkel abgerundeten Wortwechsel in der ebenso modernen wie mit 150 Leuten vollbesetzten Mumok-Lounge, moderierte STANDARD-Redakteurin Bettina Reicher.

Idealistische Bildungsutopien à la "es kann nie genug Bildung geben" überlappten ÖVP-Eigenlob in der zumeist sachlichen Bildungs-Debatte.

"Es wird weder die Elite-Uni geben, noch 'Bildung für alle'", stellte Liessmann klar. Es seien "Phantom-Themen". Er stieß sich daran, dass im namenlosen 450- Millionen Euro "Leuchtturm", kein Platz für Philosophie sei: "Es kann nie genug davon geben." Das "Ding in Gugging", wie Blaha die Elite-Uni ähnlich einem Horrorfilmtitel bezeichnet, steigere die hohe soziale Selektion. Wenn dort Studenten ausgewählt würden, motiviere dies andere Rektoren, dem gleich zu tun. Ihr größter Wunsch: "Jeder soll das studieren, was und wann er will."

"Unglaublich schwer", sei es an der Uni Wien , ein paar Hundert für eine Studienassistenz aufzutreiben, klagt Liessmann, wo in der industrienahen Forschung mit hunderten Millionen jongliert werde. Gugging, so "schön das Ambiente der Nervenklinik" sei, könnte sich nur zu gut als "Rohrkrepierer" entpuppen.

Chance vertan

Mehr auf Wiener Kindergärten eingeschossen gab sich Cortolezis-Schlager angriffslustig und zählte "rote" Schwachstellen auf Gemeindeebene auf. Sie kritisierte die Zurückhaltung Wiens bei der Elite-Uni-Vergabe an Niederösterreich: "Es ist zu spät, das Angebot am letzten Tag nachzubessern und es ist traurig, um die vertane Chance."

Rosige Nachwahlzeiten stellte Gusenbauer in Aussicht: Wenn er Kanzler wird, werde er Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren abschaffen, verspricht er dem darauf heftig applaudierenden Publikum. "Es geht um 200 Millionen , ohne die Administration. Das müssen und können wir uns leisten", ist Gusenbauer überzeugt. "In Gugging entsteht keine Uni, bestenfalls ein Spitzenforschungsinstitut", meint der SPÖ-Chef: "mit einer Hierarchie ähnlich dem NÖ-Bauernbund". Es fehle die gleichwertige Verteilung von Forschung und Lehre.

Wer in der "verbockten Angelegenheit" Gugging forschen werde, "wo man doch die ganze Wissenschaft verprellt habe?", fragte Gusenbauer. Steht doch das Bildungsministerium, nach Kritik und Distanzierung der involvierten Masterminds, alleine da. Bevor man "Wissenschaft ohne Wissenschaftler" betreibt, müsse zuerst die Finanzierung der Unis gesichert sein. "Denn dort entscheidet sich die Zukunft unserer Studierenden." Der SPÖ-Kanzlerkandidat will möglichst "gute Unis, für möglichst viele Studenten", und keine "Institute der politischen Selbstbefriedigung".

Welche Wissenschaftler die Gugging-Ambitionen unterstützen sollen, wusste Cortolezis-Schlager nicht: "Ich hoffe jedoch, dass es auch österreichische Proponenten gibt." "Elite" ist für sie ein "Dreigestirn", aus "Leistung, Disziplin und Begabung". Jeder Wissenschaftler müsse diese Kriterien erfüllen, reagiert Liessmann darauf empört. Eine "Elite" an sich könne ein Individuum nicht besitzen aber sehr wohl kann es leistungsfähig, diszipliniert und begabt sein.

Der Begriff "Elite" stehe, wie Cortolezis-Schlager betont, nicht im Gesetzestext, sondern sei "von den Medien" aufgegriffen worden. "Warum plakatiert Pröll dann in Niederösterreich: ,Die Elite-Uni kommt nach Klosterneuburg', wenn die ÖVP sich von diesem Begriff distanziert?", wollte Liessmann wissen. "Pröll versteht politisches Marketing", entgegnet Cortolezis-Schlager. Man solle auf den Terminus, der ursprünglich "Auslese" bedeute, verzichten, fordert der Wiener Philosophie Professor. Dass Kant sich als ,Elite' verstand, bezweifelt er stark.

Auf "mindestens 50 Prozent Wissenschaftlerinnen" hofft die VP-Stadträtin in Gugging. So könne man das Projekt mit Frauenförderung und Gender- Mainstreaming verknüpfen. "Hier gibt es Nachholbedarf an den Unis", wie sie ortet. Für die "mobilen" Spitzenforscher mit österreichischen Wurzeln seien die "18 Kilometer nach Gugging kein unüberwindbares Hindernis".

Gerade in der Flucht ins Ausland - Stichwort "Brain Drain" - orten Liessmann und Gusenbauer das gravierendere Problem: Viele Wissenschaftler wandern in die USA ab weil sie in Österreich keine Anstellung finden.

"Spitzenforschung kann man nicht per Gesetz verordnen", sagt Liessmann, der einem humboldtschen Universitätsbegriff huldigt: Dieser umfasst die Gemeinschaft aus Forschenden, Lehrenden und Studierenden sowie die Einheit von Forschung und Lehre und die Gesamtheit der Wissenschaften. "Für mich gibt es auch keine Medizin-Universitäten", meint er, "das sind medizinische Lehr- und Forschungsschulen" und evoziert prompt amüsiertes Gelächter.

Einsam an der Spitze

Eine sportlich-wissenschaftliche Analogie zeichnete Cortolezis-Schlager. "Nicht jeder stürzt sich einen Hang auf Skiern hinunter, nicht jeder eignet sich für Spitzenforschung." Im Skiverband ergäben die vernetzten Synergien umso bessere Ergebnisse. Ähnlich sportlich gab sich Gusenbauer, indem er den "Kauf" einer Elite-Uni dem vom FC Chelsea gleichsetzte: "Ein Betätigungsfeld für russische Magnaten." Keinesfalls solle eine "Retorteninstitution" entstehen, in der "Pröll an sich selbst forscht". Er würde das Projekt "zurück an den Start schicken" und gemeinsam mit Wissenschaftlern eine Lösung suchen. "Alles andere ist aussichtslos." Ob es so einfach möglich sei, die Vereinbarung zwischen Bund und Land aufzulösen, wollte die Moderatorin wissen. "Problemlos ist gar nichts, möglich ist alles", meint der SP-Chef. Er habe prinzipiell nichts an einer Elite-Uni auszusetzen, sofern sich diese am globalen Wettbewerb orientiere. Nur eine europäisch-vernetzte Spitzen-Uni könne eine "echte Konkurrenz zur USA sein".

Dass 30.000 € Jahresstudiengebühren in Gugging als "psychologische Hürde" sozial Schwächere abschrecken, steht für Blaha außer Frage. Die Aufnahmegespräche seien sozial selektiv. Sie bekrittelte zudem das Betreuungsverhältnis an den heimischen Unis: Logisch sei, dass Harvard mit einem Betreuungsverhältnis von 1:5 bessere Ergebnisse erziele als die Psychologische Fakultät der Uni Wien, wo auf einen Professor 141 Studenten kommen: "Das Geld, das für die Elite-Uni vorgesehen ist, fehlt bestehenden Unis sehr."

Im Verhältnis zu knapp 2,5 Milliarden seien 440 Millionen "nicht viel", rechnet Cortolezis-Schlager vor. Das gesamte Bildungsbudget würde, wie sie betont, um 25 Prozent jährlich wachsen, was Blaha einen empört-fragenden Blick entlockt. Die ÖH-Chefin pocht darauf, dass "die Beschränkungen abseits des Medizinstudiums von Ministerin Gehrer aufgehoben werden". Sie seien überflüssig.

"Sozial gerechter" ginge es in Ländern zu, die Studiengebühren hätten, meinte Cortolezis-Schlager auf die SPÖ-Wahlversprechen. "Jede Investition in die Bildung rechnet sich eins zu zehn", sagt Gusenbauer, der im aktuellen Kurs "eine Strategie zur Verarmung des Landes" sieht. "Vollkommener Holler" sei Studienplatzbewirtschaftung. Sie fuße auf "verkorkstem, planwirtschaftlichem Denken". Wer wisse jetzt, was in fünf Jahren auf dem Arbeitsmarkt gefragt sei?

Getarnte FH-Studien

"Mit 4000 Studierenden auf 28 Lehrende" könne man, laut Liessmann, "nicht gut ausbilden", schildert er den Ist-Zustand des Wiener Philosophie-Instituts. Bakkalaureats-Studien seien "getarnte FH-Studiengänge und korrumpieren die Uni von innen", wettert der Philosoph gegen den Bologna-Prozess: "Leute, die nur auf einen schnellen Abschluss aus sind, um besser zu verdienen, sind für die Universitäten verloren."

In einer neuen Regierungsperiode "sollen Bildungsthemen ohne Tabus angepackt werden", stellt Cortolezis-Schlager in Aussicht. Den VP-Speech in der Bildungspolitik müsse man laut Blaha "dechiffrieren". Nach Gehrers "Es wird keine Studiengebühren geben", bedeute Cortolezis-Schlagers Definition des freien Hochschulzugangs - den es ihrer Meinung nach gibt - wohl: "Es werden weitere Beschränkungen kommen." (DER UNISTANDARD, Printausgabe, 2.3.2006)