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Kältepaar Nicola Kirsch (Amalthea) und Michael Masula (Manuel).

Foto: APA/Prammer
Wien - Die Schrecken des Eises und der Finsternis haben eine Adresse: Bulbus. Dieses von Anja Hilling irgendwo in einer hiesigen Weltgegend freigelegte Dorf am Fuß eines Berges beherbergt Menschen, die im frostigen Zustand ihrer nicht bewältigten Vergangenheit der Heimsuchung harren: Einstweilen gehen sie Eisstockschießen und kalt duschen. Es sind ihrer zum Glück nur vier.

Einer (Hermann Scheidleder) hat einen Richter erschossen, ein anderer (Michael Gempart) den Selbstmord eines Paars ausgelöst und wieder eine andere (Hilke Ruthner) hat vor 24 Jahren ihr Kind beim Ikea-Spielplatz einfach nicht mehr abgeholt. Alles hängt zusammen, und jetzt kommt dieses Mädchen (Nicola Kirsch) zu Besuch.

Bemerkenswert, wie leicht sich die Dramatikerin Hilling (30) mit diesem im Rahmen der Werkstatttage im vergangenen Herbst am Burgtheater elaborierten Stück aus den handelsüblichen Szenerien zeitgenössischer Jungdramatik herausgeschrieben hat. Und mit welcher Knappheit sie für ihre von zwei Städtern aufgesuchte einsiedlerische Pensionistenbande bildsprachliche Räume erobert.

Mit all dem hat das Schauspielerensemble bei der Uraufführung durch Daniela Kranz zu kämpfen. Der Text geht zunächst nicht auf, sein kühler Strom versiegt in den Schauspielermündern und purzelt (zumindest im ersten Viertel) als Nachbarschaftsplauderei heraus. Auf der mit Theaterschnee flockig zugeschneiten Eisbahn am Bühnenpodest (Ausstattung: Bettina Kraus) beherrschen Familienaufstellungen die nordlichtartig erhellte Szene. Erst Sylvia Lukans Stimme als Polizistin erreicht hier einen geschliffenen Ton.

In diese Gletscherspaltenheimeligkeit schmilzt Manuel, ein Reporter (Michael Masula), mit Warmherzigkeit durch. Die baumelnden Gliedmaßen seiner gefrierenden Geliebten (Kirsch) hält er lange in seinen Armen zusammen und erzählt, als würden Worte wärmen, als würde sich mit ihnen auch die Vergangenheit auflösen. Und in der Tat, die Temperaturen steigen. Es wird geküsst. Nur glauben können wir's nicht ganz. Den Text der talentierten Autorin ist in Wahrheit komplexer, tönender, entrückter, und diesen Verlust ließ der Abend doch deutlich verspüren. (DER STANDARD, Printausgabe vom 20.3.2006)