Vergangenheitsbewältigung – Antworten von Kritikern und Kritisierten in der Restitutionsdebatte: Hellmut Butterweck, Autor von "Verurteilt und begnadigt – Österreich und seine NS-Straftäter" und seine Einblicke in eine besondere Tiefenschicht der österreichischen Seele

Vorab ein paar Worte in eigener Sache: Herwig van Staa warf mir nach einer an dieser Stelle veröffentlichten Kritik zu einer Äußerung des Tiroler Landeshauptmanns in Sachen Restitutionspolitik vor, dass ich nicht bei ihm rückgefragt habe, bevor ich derart "gehässige Unterstellungen" publiziere (STANDARD, 24. 2.).

Dabei hatte ich ihm gar nichts unterstellt, sondern ihn bloß beim Wort genommen. Gesagtes bleibt gesagt, keine Nachfrage kann es ungesagt machen. In seinem Antwortbrief beharrt er ja auch darauf, "dass für Kunstgegenstände, die für die österreichische Kultur von unverzichtbarer Bedeutung sind, ein Ausfuhrverbot hätte erlassen werden sollen. Dies jedoch unter der Voraussetzung, dass die rechtmäßigen Eigentümer nicht zu Schaden kommen."

Ist ihm tatsächlich entgangen, dass Ausfuhrverbote und die Drohung mit Ausfuhrverboten in der Nachkriegszeit Jahrzehnte später zur bekannten, für Österreich so peinlichen Situation geführt haben? Wie stellt er sich ein Ausfuhrverbot ohne Schaden für die rechtmäßigen Eigentümer vor?

Begreift er nicht, dass ein Ausfuhrverbot für Werke der Weltkunst zwangsläufig eine einschneidende Wertminderung und damit eine Schädigung der Eigentümer bedeutet? Der einzige anständige Weg, Österreich Werke von unverzichtbarer Bedeutung zu erhalten, ist der Ankauf zu Weltmarktpreisen. Ist man dazu bereit, erübrigt sich das Ausfuhrverbot.

Im Übrigen habe ich mich mit seiner Äußerung befasst, ohne die persönliche Integrität von Herwig van Staa in Zweifel zu ziehen. Gerade seine Herkunft aus einer alles andere als nazistisch gesinnten Familie lässt ja den Rückfall in die Mentalität der Nachkriegszeit auf den ersten Blick so unbegreiflich erscheinen. Was mich daher persönlich am ganzen Fall am meisten interessiert, ist denn auch, wie es dazu kommen konnte.

Um Ausrutscher wie diesen plausibel zu erklären, müssen wir uns, wie ich meine, zur nicht ganz neuen Annahme bequemen, dass Einstellungen und Verhaltensweisen weit über die Anlässe ihrer Entstehung hinaus wirksam bleiben und plötzlich wieder durchbrechen können.

Es wäre ein Fehler, die zweite Enteignung der vor Hitler Geflohenen, die in Österreich nach 1945 in so vielen Fällen stattfand, einfach mit "ungebrochener Nazimentalität" erklären zu wollen. Tatsächlich haben gestandene Nazigegner, unter ihnen so mancher Veteran des Widerstandes, an jenem den Geflohenen gegenüber äußerst unfreundlichen Klima mitgewirkt, das eine Vorbedingung für die zweite Enteignung war.

Bereits am 21. November 1945 sagte der aus dem KZ befreite Bundeskanzler Leopold Figl in Salzburg: "Es war für die Emigranten sicherlich bequemer, in ihren Clubsesseln zu sitzen, als für Österreich zu leiden." Unwillkürlich fällt mir ein antisemitisches christlich-soziales Plakat der Zwischenkriegszeit mit Leopold Figl im Impressum bei dieser Äußerung ein. Sie war Auftakt zu vielen ähnlichen.

Oft wirken die Ausfälle gegen die Emigranten aufgesetzt, an den Haaren herbeigezogen. Ohne jeden Kontext mit Emigration, NS-Problem oder Wiedergutmachung springt es uns plötzlich in die Augen: "Die Demokratie stellt absolut keinen Freibrief dar für Menschen, die selbst noch vor einem Jahr in der Debattierstube der Emigration saßen, unwidersprochen Lausbübereien zu treiben, sondern jene, die in der Nazizeit wirklich gelitten haben, werden künftig solchen Kerlen ganz deutlich auf die Finger klopfen." (Das Kleine Volksblatt, 28. 6. 1946)

In den Zeitungen der rechten Reichshälfte kamen die Emigranten bald nur noch in Verbindung mit den Attributen eines luxuriösen Lebens vor, und wenn sie in Zeitungen des Auslandes auf Fehlentwicklungen in Österreich hinwiesen, wurde der Ton saugrob: "Trotz allem ist es aber unverständlich, dass der Nationalstolz gerade jener Emigranten, die am Badestrand der Riviera und in den Luxushotels von New York ein recht gutes Leben führten und noch führen, darin besteht, weder Würde noch Charakter, weder Selbstbewusstsein noch Verantwortungsgefühl zu zeigen und Österreich und seine Regierung dauernd anzugreifen. Es muss allen jenen Herren ganz klar vor Augen geführt werden, dass der Unterschied zwischen ihnen und uns immerhin ganz gewaltig ist, denn wir lieben unsere Heimat und werden insbesondere in der Fremde immer stolz von ihr sprechen; sie tun es nicht. Wir haben gekämpft für diese Heimat, viele von uns endeten in den Konzentrationslagern oder fielen den Kugeln der Hitlerbanden zum Opfer. Sie schauten aus sicherer Entfernung zu." (Das Kleine Volksblatt, 1. 6. 1947)

Im innenpolitischen Patt schlugen die in der ÖVP (noch) den Ton angebenden KZler den sozialdemokratischen Emigranten die Emigration um die Ohren: "Viele unserer Sozialisten haben einmal schon in einer sehr ernsten Zeit des Vaterlandes Fersengeld gegeben und die anderen kämpfen und sterben lassen" (Wiener Tageszeitung, 18. Juni 1949). "Wir haben", so Wiens Vizebürgermeister Lois Weinberger, "nicht nur Steine getragen, sondern sind täglich und stündlich einem unvorstellbaren Schrecken und einem furchtbaren Tode gegenübergestanden. Wir hätten also möglicherweise sogar Grund, auf andere Leute herabzusehen und etwa deren Tätigkeit in der Emigration, als Luftschutzwarte oder gar als Jasager und Animierer für den totalen Faschismus, kritisch zu betrachten." (Das Kleine Volksblatt, 16. 1. 1948)

Diese Zitate stehen für viele ähnliche. Ohne Kenntnis des politischen Klimas, dem sie Ausdruck gaben, bleiben die kalten Enteignungen der Nachkriegszeit unbegreiflich. Und ohne Kenntnis der tiefen Aversion gegen die Emigranten bei Menschen, die alles andere als Nazis gewesen waren, die, wie Figl und Weinberger, KZ-Haft und Gestapo-Folter hinter sich hatten, wäre das plötzliche Durchbrechen praktikabler, aber verwerflicher Ideen zur Rettung "unverzichtbarer", doch leider auf ethisch nicht einwandfreie Weise erworbener Kunstgegenstände ebenfalls unverständlich.

Der Ton hat sich später bekanntlich gemäßigt. Die Haltung, die dahinter stand, hat irgendwo in den Kellern der österreichischen Seele überwintert und macht sich halt manchmal ein bisserl Luft. (DER STANDARD, Printausgabe vom 18./19.2006)