"Im Ausgesparten liegt das Schöne": Luc Bondy, 1948 in Zürich geboren, ist seit 1998 Intendant der Wiener Festwochen. Er ist auch Autor. Zuletzt erschien "Meine Dibbuks".

Foto: STANDARD/ Andy Urban
Festwochen-Intendant Luc Bondy im Gespräch: Margarete Affenzeller und Ronald Pohl trafen ihn im Akademietheater, wo er gerade Jon Fosses "Schlaf" – Premiere am Sonntag – inszeniert.


STANDARD: Jon Fosses "Schlaf" hebt die Zeitenfolge auf und erzeugt Simultaneität. Das Stück eröffnet verschiedene Möglichkeiten, sich ein und derselben Sache zu nähern. Wie sind Sie auf diesen Text gekommen?

Luc Bondy: Ich hatte einmal vor, Fosses Sommertag zu machen, wo Menschen am Meer sitzen und sich die Geschichte eines jungen Mannes erzählen, der verschwindet. Ich fand aber dann Schlaf noch vielschichtiger. Um einen Autor zu testen, muss man ihn in einem durchlesen, ohne Unterbrechung. Beim ersten Lesen habe ich instinktiv gespürt, das hat einen Atem, das kann ich mir vorstellen.

STANDARD: Fosse dementiert ja jede Psychologie.

Bondy: Es gibt keine. Ich bin auch kein psychologischer Regisseur. Psychologie erklärt kausale Zusammenhänge, die interessieren mich überhaupt nicht. Mich interessieren Realitätsmuster. Das werden Sie sehen: Aus probentechnischen Gründen habe ich "Schlaf" nicht einmal chronologisch inszeniert. Ich habe den Schauspielern immer gesagt, sie dürfen eine Szene nie für etwas anderes spielen.

Jeder Satz, der gesprochen wird, ist gerade jetzt und nicht für etwas anderes. Es soll ein Geheimnis sein, nicht als Mystifikation, sondern aus dem Ausgesparten. Denn die Dinge sind geheimnisvoll so, wie sie sind, und nicht, weil sie für etwas Geheimnisvolles stehen. Das ist das Schwierigste am Theater, denn der Interpretationswunsch ist da. Ich dachte, die Inszenierung wird lang, doch es sind bloß eineinhalb Stunden, wahrscheinlich würde es bloß 30 Minuten dauern, wenn man es schnell herunterspielt.

STANDARD: Die inneren Referenzsysteme, die Spiegelungen des Stücks, erinnern an Ihr letztjähriges "Ein spanisches Stück".

Bondy: Ja, aber Fosse ist kein geschickter Autor. Yasmina Reza ist eine Gewiefte. Sie hat Züge der Boshaftigkeit. Fosse nicht, er ist lakonisch. Ich wollte wissen, woher der Sohn kommt. Ist das ein Sohn, der zwanzig Jahre weg war und dem alles misslungen ist? Und Fosse hat mir folgende Antwort gegeben: Es kann ihm wohl alles gelungen sein oder gar nichts.

Sehen Sie? Mir war die zweite Möglichkeit lieber. Referenzen gibt es bei Ibsen; er hat seine Eltern zwanzig Jahre nicht gesehen. Denken Sie an sein Stück Wenn wir Toten erwachen. Auch Knut Hamsun hat eine ähnlich "kurze" Sprache.

STANDARD: Fosses Text dementiert einen Ihrer beiden Plakathelden, nämlich Freud. Etwas trivialer verstanden könnte man mit Freud sagen: Wenn lang genug auf den Kern eines Problem qua Sprache hinführt, könnte es gelöst werden.

Bondy: Stimmt. Das Einzige, was mit Freud zusammenhängt, ist, dass es auch ein anderes Bewusstsein gibt, und dass das eine große Rolle spielt. Mir ist eine Literaturwissenschaft suspekt, die mit Psychoanalyse hantiert, es ist bloß ein Prinzip, das aber die vielen verschiedenen Ansätze eines Textes missachtet. Wahrscheinlich hätte sich Freud heute schon selbst mehrfach widerlegt.

STANDARD: "Schlaf" schlägt auch den Bogen zu Mozart: zur Entwicklung einer bürgerlichen Kultur der Intimität, die Fosse auf ganz elementare Konstellationen reduziert. Kann man das so sehen?

Bondy: Ja. Und wenn Sie sich an die Todesnähe Mozarts in manchen seiner Partituren erinnern: als würde Fosse der Todesangst vorbeugen, indem er sie zeigt.

STANDARD: Sie sind Intendant bis 2010. Werden Sie dem Wunsch nach einem Festivalzentrum nachkommen?

Bondy: Das strebe ich an. Es ist hauptsächlich eine finanzielle Frage. Die Festwochen sollten auch ein Ereignis sein, das nach außen hin kommuniziert wird. Als ich jünger war, wollte ich auch gern bis zum Morgen bleiben. Das Museumsquartier würde sich anbieten. Ich bin sicher, nächstes Jahr haben wir ein Zentrum.

STANDARD: Eine Misshelligkeit ist das Theater an der Wien ...

Bondy: Ich durchschaue das System nicht. Die Stadt gibt den Festwochen Geld und dem Theater an der Wien. Und jetzt sollen wir nächstes Jahr 25.000 Euro Miete pro Tag bezahlen. Das ist wahnsinnig teuer. Ich glaube aber, dass da etwas passieren wird. Es ist absurd, dass man die Subventionen wieder abzieht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so viel Geld kostet. Bisher sind leider unsere Wünsche, mit dem Theater an der Wien zu kooperieren, nicht in Erfüllung gegangen.

STANDARD: Bleibt die Frage nach Stéphane Lissner: Zu wenige Menschen gestalten zu viel – auf Kosten der Vielfalt. Wie sehen Sie diesen Vorwurf?

Bondy: Der ist nicht gerechtfertigt. Die Opern können nicht von uns allein produziert werden. Nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus produktionstechnischen Gründen. Außerdem glaube ich, dass er eine gute Nase hat und vor allem die Kontakte; er kann Leute überreden! Natürlich gibt es diese Konkurrenzsituation, in der man sagt, warum kriegt der dieses Amt, wo er doch schon das und das hat. Aber: Warum hat er die anderen Ämter? Die Qualität zählt, was die Leute sonst reden, ist mir egal. Ich verstehe aber den sozialen Neid, der wird immer ein Problem sein. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.5.2006)