Vergleichsweise gelungen ist das Kaffeehaus aus der Retro-Retorte an der Stelle des alten "Café Haag" in der Wiener Schottengasse.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Besonders gut: das Essen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Vergangene Woche wurde wieder ein original Wiener Kaffeehaus aus der Retro-Retorte gehoben. Ähnlich den Vorgängern Central, Museum, Griensteidl und wie sie alle heißen (ums Drechsler darf noch gebangt werden), wurde auch das "Café im Schottenstift" blitzblank auf alt getrimmt. Im Vergleich zu anderen Kaffeehaus-Kulissen atmen die Gewölbe des einstigen "Café Haag" aber fast so etwas wie Flair.

Wo im vergangenen Jahrzehnt erst "Pizza Hut" und danach ein blasser Grieche scheiterten, soll nunmehr alles wie früher werden, als im Haag oft kein Platz zu ergattern war zwischen Pensionistenpärchen und von Krügeln umzingelten Edel-Studenten. Tatsächlich dürften einstige Stammgäste ein ziemliches Déjà-vu erleben: Wohl war's früher abgewetzt gemütlicher, die neuen Samtbänke, Marmortische und nicht zuletzt der große Spiegel am Ende des "Tunnels" aber decken sich in Anordnung und Anmutung erstaunlich nahtlos mit dem, was das Licht der Erinnerung noch zu erhellen vermag.

Neugestaltung ging dramatisch daneben

Dramatisch daneben ging dafür die Neugestaltung des legendär lauschigen Gastgartens. Dass ein paar Bäume zu kaputt waren, um ohne Gemeingefährdung stehen zu bleiben - geschenkt. Dass im einst geschotterten Hof nun Betonsteine der kältesten Sorte verlegt wurden und die breitarschige Bestuhlung eher an Grillbonanza denn an Apfelstrudel unterm Kastanienbaum gemahnt - unverzeihlich.

Betreiber ist Andreas Filipczak, ein Gastronom der bislang mit Lokalen wie der "Bierkutsch'n" transdanubisch erfolgreich war. "Ich habe dem Abt (als Eigentümer-Vertreter, Anm.) mein Konzept eines Kaffeehauses dargelegt und die Sache danach vergessen - schließlich war die Konkurrenz in Form von Starbucks oder Konditorei Oberlaa nicht schlecht aufgestellt", erzählt er. Umso überraschender kam der Zuschlag des Abtes, der neben Wienerwald und nach Pizza Hut "nicht noch einen Großkonzern im Haus haben wollte".

Der kleine Hunger wird gut bedient

Mit Geschäftsführer Thomas Lirsch und Haubenkoch Gerhard Bernauer sind gleich zwei einstige "Novelli"-Mitarbeiter eingesetzt. Das ist gut für die Aufmerksamkeit des zahlreichen Servierpersonals und noch besser für die Speisekarte, die den traditionsbewussten Kaffeehausgast ziemlich wunschlos glücklich macht. Zwischen Sacherwürstel, schulmäßigem Gulasch, "Schottenstift"-Sandwich (samt erstklassigen, selbst frittierten Chips) und - bis auf die Zwiebeln in der Gemüsemayo - mehr als ordentlicher Schinkenrolle, wird der kleine Hunger gut bedient. Täglich gibt es günstige Tagesteller (€ 5,50-7,50) und eine Reihe wechselnder Gerichte, die sich freilich der Wiener Klassik verpflichtet fühlen müssen: Wunderbar mürbe, gebackene Schweinswangerl etwa, die mit Püree und souverän gewürzter Sauce Trara serviert werden, geschmacksicher gesäuertes Salonbeuschel oder buttrige Krautfleckerl mit sehr gut angemachtem Salat. Bemerkenswert auch die Tortenauswahl, die viermal pro Woche von der vielfach prämierten Konditorei Kaplan in Bad Tatzmannsdorf angeliefert wird und an Geilheit nichts zu wünschen lässt. Überraschend: die tolle Weinkarte.
(Severin Corti/Der Standard/rondo/02/06/2006)