Ein Liechtensteiner, war dieser Tage zu hören, habe die betagte Dame erworben. Ob er ihre altmodische Schönheit zu schätzen weiß, wird sich weisen. Zumal der Respekt ihm den Profit schmälern dürfte.
Die Hauptrollen vergeben, blieben an diesem lauen Juliabend allenfalls Nebenrollen zu verteilen. Und eine üppige Menge an Statisterie - ganz wie sie Karl Kraus vorsieht für Die letzten Tage der Menschheit.
Und für ihn, für diese Worte, diese monströse Textbaustelle schließlich war man versammelt in dieser Außenstelle der Festspiele Reichenau. Glaubte man sich.
Einen "Angsttraum"hatte Karl Kraus die Tragödie genannt bei Veröffentlichung erster Szenen im Oktober 1915 in der Fackel. Später ließ er den Zusatz weg. Die Tragödie aber wuchs parallel zu den Gräueln des realen Krieges, deren schriftlicher Zeugnisse er sich bediente.
Ein Vorspiel, fünf Akte mit insgesamt 219 Einzelszenen und einen (allein abendfüllenden) Epilog lang dauern die Letzten Tage der Menschheit, bevor "die Stimme Gottes"sie mit dem finalen "Ich habe es nicht gewollt"beschließt.
Ein Grund für Karl Kraus, den Textschatz einem außerirdischen Marstheater anzuvertrauen - wenn auch nicht der einzige: "Der Autor hat selbst für den Fall, dass das szenische Problem lösbar wäre, nie an eine Aufführung gedacht, durch die ein Zurücktreten des geistigen Inhalts vor der stofflichen Sensation wohl unvermeidlich wäre", schrieb Kraus hellsichtig 1921 - und bevorzugte Lesungen.
Historisch kostümiert
Im Südbahnhotel hatte Christopher Widauer bereits vor sechs Jahren, gemeinsam mit Hans Gratzer, eine szenische Interpretation ausgewählter Szenen des Stücks geboten. Bearbeitet und erweitert zeigte er nun 38 Episoden im Speisesaal und dem Waldorfsaal des Hauses in historischer Kostümierung (Erika Navas). Fern, fern schienen die Zeiten des Krieges an diesem lachshäppchensatten Sommerabend auf dem Semmering - nur hin und wieder durch einzelne wunderbare Darsteller anwesend. Zumal Wolfgang Hübsch und Peter Matiæ lassen des Grauens unsichtbare Gegenwart erfahren. Doch auch Gabriele Schuchter und Eduard Wildner bieten mehr als Theater.
Um Mitternacht aber sind die Gespenster der Vergangenheit längst wieder unter sich. (DER STANDARD, Printausgabe, 8./9.7.2006)