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Wer grapscht, wer wiegt sich in unnennbaren Gefühlen? Von links Gräfin (Dorothea Röschmann), Cherubino (Christine Schäfer) und Susanna (Anna Netrebko).

Foto: APA/Techt

Regisseur Claus Guth entwirft intelligente Charakterstudien, Dirigent Nikolaus Harnoncourt und die Wiener Philharmoniker setzten auf den Charme extremer Tempi.


Salzburg – Alles hat seinen Preis in Salzburg – auch ein Festspielsitz im neuen Haus für Mozart. Plácido Domingo hat einen erstanden, in der Pause unterbricht Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler denn auch ihren Promi-Begrüßungsmarathon, um sich mit dem Käufer ablichten zu lassen. Das ist der unbeschwerte, glitzernde Teil des Trubels – auch die Gottschalks sind wieder da –, der einen beachtlichen Kontrast zu den Vorgängen auf der Bühne bietet.

Kein Promi würde hier ein Zimmer buchen wollen. Ein grauweißes Stiegenhaus mit riesigen Türen wird zum schmucklosen Landhaus-Schauplatz der Emotionskämpfe. Dazu nur noch etwas kontrastierendes Schwarz, tote Vögel – Beklemmung liegt in der Luft. Klar: Der Raum (Christian Schmidt) soll den Figuren keinen Halt bieten, soll deren hilfloses Zappeln in der Konflikthölle zwischen Es und Über-Ich verstärken. Jener, der hier etwas Leichtigkeit und Buntheit einbringt, ist andererseits an allen Nöten schuld. Eros. Er verstreut Federn, hypnotisiert und lenkt alle. Und ist eigentlich ein verdoppelter Cherubino mit Engelsflügeln.

Regisseur Claus Guth hat die Figur eingeführt, um zu zeigen, dass hier alles triebgesteuert ist, auch um unter die Operfläche vordringen zu können und sich in Figurenpsychen forschend umzusehen. Dort, wo Gefühlsverwirrung herrscht.

Zurückgekommen ist er mit profunden Erkenntnissen, die er dann tatsächlich handlungstreibend umgesetzt hat. Den Grafen lässt er reichlich schwitzen. Die Hitze, die ihn plagt, ist eine des Begehrens, wobei das Erotomane nur Teil eines neurotischen Emotions-cocktails ist. Der Graf wird gleichsam von seiner Zerrissenheit gegrillt. Er vergreift sich an fast allen und hat offenbar ein Gschpusi mit Susanna laufen.

Gräflicher Schrecken

Freilich ist auch die Gattin vor seinen Wallungen nicht gefeit. Der Graf – ein Nervenbündel, das sicher bald professionelle Psychohilfe in Anspruch nehmen wird. Guth lässt ihn Eros auch tatsächlich tragen, als erdrückende Last (der grandiose Bo Skovhus macht den Grafen zur intensiven Figur). Sein Objekt der Begierde, Susanna (bis auf eine Note sehr ansprechend Anna Netrebko), schwitzt nicht. Allein, sie ist das nicht sehr unbeschwerte Mädchen, das auch mit Cherubino (glanzvolle lyrische Momente Christine Schäfer) etwas haben könnte. Zusammen mit der Gräfin und Cherubino bildet sie ein Trio, dessen Zärtlichkeitsaustausch die Hitzegrade des Amikalen deutlich überschreitet. Allein Figaro (souverän Ildebrando D’Arcangelo) ist da etwas anders. Er bleibt ein eifersüchtiger Berechnender, der den Grafen an liebsten aufschlitzen möchte.

Cherubino muss dafür büßen. Assistiert vom Grafen, langt Figaro zu, wenn es gleichsam darum geht, den Jungen fürs Militär zu präparieren. Mit einer an Körperverletzung grenzenden Aggression wird der Junge zerzaust, Figaro lässt Cherubinos Blut fließen und schmiert es ihm ins Gesicht. Ein Bild des Jammers – wie auch die Gräfin. Diese hilflos Leidende (etwas zu viel Schärfe in der Stimme Dorothea Röschmann) ist in Auflösung begriffen. Versucht sie, Susanna Unterwürfigkeit abzuringen, liegt sie ihr im nächsten Augenblick jammernd zu Füßen – Rangordnungen lösen sich im Psychochaos auf. Das ist von Guth konsequent und intelligent durchgezogen, aber nicht radikal – auch Humoriges ist mitunter dabei.

Allerdings hat er mit dem unentwegt eingreifenden Eros ein Leitmotiv geschaffen, das zu szenischer Grapschredundanz führt. Eine elegante Szene lang generiert das eine schöne Idee. Eros kritzelt an die Wand Namen, zieht Pfeile von einem zum anderen, um anzudeuten, wer mit wem was hat. Der Pfeile werden immer mehr, bis sich Eros auch nicht mehr auskennt. Virtuos. Über den Abend üppig verteilt, wird die Eros-Idee jedoch zur Quelle des Plakativen, das Ambiente bisschen zur Vorstufe eines Swingerklubs. Das läuft sich tot. Am Ende stehen jedenfalls alle da in starrer Pose, wieder eingezwängt in alte klare Beziehungskonstellationen. Von Eros wollen sie nichts mehr wissen. Er findet nur noch bei Cherubino halt.

Breite Tempi

Dirigent Nikolaus Harnoncourt hat seine musikalische Sicht von dieser, der humorigen Oberfläche ausweichenden Version her entwickelt. Die Tempos sind extrem, bewirken grandiosen philharmonischen Schönklang und in Arienmomenten bisweilen eine magische Verlangsamung der Zeit. Aber die Balance stimmt, denn andernorts wird rasant beschleunigt, gewohnt pointiert akzentuiert. Nur in der Ouvertüre, da die Musik gleichsam einsam da steht, scheint das Langsame etwas behäbig, gibt es wimmernde, eingedickte Momente. Die Akustik des Hauses hilft, sie ist gnadenlos klar, toll für die Sänger. Bei lauten Stellen wird es heikel, weil etwas überakustisch.

Die Erwartungen strahlten auf diesen Figaro wie die sengende Sonne auf das Haus für Mozart. Einen Sonnenbrand hat sich bei dieser szenisch respektablen, musikalisch letztlich doch in sich schlüssigen Produktion niemand geholt. Für Harnoncourt gab es aber einige Buhs. (Ljubisa Tosic / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.7.2006)