Salzburg - Die Ankündigung, Maurizio Pollini würde einen ganzen Abend Mozart spielen, mochte Zweifel aufkommen lassen. Es wäre für ihn extrem ungewöhnlich gewesen, Pollini hat sich in den langen Jahren seines Künstlertums nicht unbedingt als Mozart-Beglück(t)er erwiesen. Wir erinnern uns an seine gefälligen Auftritte und Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern unter Karl Böhm.

Wir erinnern uns an seine Versuche, Mozart vom Klavier aus - ähnlich wie Géza Anda, Friedrich Gulda und später auch András Schiff - zu leiten. Problematisch sein unstetes Tempoempfinden, seine Neigung zum Eilen und auch zum Verschmieren der kleinen, bei Mozart so wichtigen Noten, die - meist in Sechzehnteln notiert - bald mechanische, bald melodische Botschaften übermitteln.

In Salzburg nun kam es, wie zu erwarten war: eine Halbzeit Mozart mit der abgrundtiefen, aber auch wirbeligen Sonate KV 457 und dem tieftraurigen Adagio KV 540. Die versprochene und auch eingelöste D-Dur-Sonate (KV 576) blieb unbefriedigend, denn Pollini ist kein geschmeidiger Skalenspieler und schon gar kein Meister der quasi-polyphonen Eleganz und Durchsichtigkeit, wie es diese Sonate aus dem späten, Bach verpflichteten Gedankenwerks Mozarts erfordert. Auch manche Passagen des genannten c-Moll-Projektes ließen das erkennen, aber man spürt, wie sehr er sich dem Wollen Mozarts verpflichtet fühlt, wie er sich in die tastenden, die fahlen, ja lähmenden Ereignisse hineindenkt und sie auf seine arbeitsame, fast schon schwitzende Weise zu bedenken gibt.

Im Großen Festspielhaus bleibt dies ein Wagnis in Bezug auf Intimität und Leises. Es ist, als würde man Scarlatti im Fußballstadion spielen. Doch dann nach der Pause ein anderes Hörbild! Pollini verstörte mit alten Neuigkeiten aus seinem Aufreizrepertoire! Weberns Variationen op. 27 und - nach wie vor eine Gemeinheit für ein auf Ergötzung abonniertes Publikum, das den Saal teils vorzeitig verließ - Pierre Boulez' Sonate Nr. 2! Diesmal nicht auswendig vorgetragen, wobei es zu bemerken gilt, dass auch die Noten in ihrer verwirrenden Kreuzarithmetik kaum weiterhelfen, wenn man das immer wieder faszinierend ärgerliche Stück nicht sowieso im Kopf hat.

Bei aller Bewunderung für Pollinis manuelle Geistesgegenwärtigkeit - gelegentlich würde man die eine oder andere Neuigkeit in seinen Vortragsfolgen wünschen. Zumindest, was das 20. Jahrhundert anbelangt. (Peter Cosse/ DER STANDARD, Printausgabe, 16.8.2006)