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Alkmene (Anne Ratte-Polle) weist nach, dass auch nach "fünf Monden", während derer ihr Gemahl unabkömmlich war, alles am rechten Fleck sitzt. Ein Wirklichkeitserweis ohne Kleist-Gehalt.

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... den sich die Salzburger Festspiele verordnet haben: Komödien stecken voller Rätsel. Aber wer glaubt noch an sie?


Hallein - Der Feldherr Amphitryon (Samuel Finzi), in dessen seit "fünf Monden" leichtsinnig verwaist gelassenem Ehebett zu Theben niemand Geringerer als der Blitzeschleuderer Zeus zugange war, während er noch im Kriegslager die Siegeswunden selbstgefällig leckte - der Kleist'sche Amphitryon kehrt heim. Er legt in der Halle der Perner-Insel die von Mattigkeit erfüllte Routine eines soeben aus Bangkok zurückgeflogenen Luftflottenkapitäns an den Tag, der aus dem Duty-Free-Shop noch rasch ein Orchideengesteck in Klarsichtfolienschachtel für die vernachlässigte Gemahlin liebesheischend ergattert hat.

Er gehört, wie fast alle Kriegsheimkehrer nicht nur in der Nachfolge des großen Günter Grass, zum Geschlecht der tragisch Verspäteten. Denn Jupiter (Robert Gallinowski), in der Halleiner Außenstelle der Salzburger Komödienfestspiele ein zum feisten Ebenbild geronnener Lufthansa-Kapitän mit Ärmelstreifen und Fangschnüren, war seiner Alkmene bereits zur kühlenden Nachtstunde beglückend erschienen. Eben noch stand Alkmene (Anne Ratte-Polle) postkoital erheitert, in eine Steppdecke wie in einen Königinnenmantel gehüllt, vor dem Bungalowblock aus Marmorimitat (Bühne: Johanna Pfau), an dessen Lüftungsritzen und Postkastenschlitzen sich der "echte" Amphitryon die Fingernägel nunmehr kurios wund reißt. Er muss, als trauriges Echo seiner selbst, der vollkommenen, weil göttlichen Ausgabe seines Ichs wie ein zu spät geschlüpfter Maikäfer hinterdrein klettern. Der Vorsprung der mutwillig geilen Göttlichen ist für uns Irdische einfach unaufholbar.

Regisseur Stefan Bachmann, dessen Amphitryon eine Leihgabe des Deutschen Theaters in Berlin ist, kratzt mit seiner Arbeit nicht die Kurve, sondern die Schleife: Hurra, wir hängen fest! Auch so kann man seinen Kleist natürlich lesen: als Schildkrötenrennen der wohlstandsgepanzerten Freizeitkrieger, die bei der eigenen Ehefrau aus Gewohnheit unterkriechen wollen. Die ihren eben noch im Finstern von Merkurius blutig geschlagenen Diener Sosias (Sebastian Blomberg), einen Bundfaltenfaschisten mit Wach- und Schließbarrett, buchstäblich viermal, fünfmal um den nämlichen Botenbericht angehen, um vor lauter inwendig köchelnder Hirnwut doch nichts zu verstehen.

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Der große, unglückliche Heinrich von Kleist ist freilich einer jener raren Komödiendichter, die unter keinen Umständen mit sich spaßen lassen. Notorische Witzbolde wie Bachmann, der nach seiner Basler Schauspielchef-Zeit erst einmal auf Weltreise ging, um jetzt auf höherer, gleichsam geläuterter Ebene ungehemmt weiterblödeln zu können, werden von Kleist unbarmherzig ausgespien.

Kleist (1777-1811) lacht nicht, sondern er wird - in einer Sprache, die unter dem verrutschten Stahlband des Blankverses höhnisch strauchelt und tobsüchtig hintüber kippt - von einem Lachanfall gefoltert. Wer ihm verbürgen könne, dass jemand auch wirklich er selbst sei? Kleist, der die Kant-Lektionen der reinen Vernunftkritik als verstörter Zweifler hinter sich gebracht hatte, radikalisiert. Er "setzt", wie man im Stefan-Bachmann-Milieu wahrscheinlich sagen würde, "noch einen drauf".

Dieser Amphitryon ist beileibe keine schlechte Arbeit. Er biegt nur die Kleist'sche Verdoppelung - dass jemand gerade um seiner selbst geliebt werden müsse, auch wenn seine Identität ungesichert bleibt - in die von Potenznöten und Aussprechzwängen gepeinigte Lebenswelt herunter. Wir blättern im Hochglanzmagazin: Die Boutiquenlady (Ratte-Polle) entblößt den Strumpfgürtel, um den ordnungsgemäßen Sitz der Eheapplikationen nachzuweisen. Ihre Zofe Charis (Katharina Schmalenberg) entwickelt eine schöne, auf Wohlstandskothurnen hingestakste Kriegerwitwengeilheit. Im Grunde ist diese doch ehrbegierige Kriegsgesellschaft ein einziges Freizeitressort im Fluglotsenmilieu.

Die von langer Spaßmacherhand angebahnte Banalisierung eines geheimnisvollen, im Grunde skandalösen Stückes haben Bachmann andere vor ihm abgenommen. Der Komödienschwerpunkt der diesjährigen Salzburger Festspiele ist denn jedenfalls eine kolossale Unterdrückungsleistung: Entweder sind die Komödien keine solchen, sondern in Wahrheit Monstrositätstrauerspiele (die Verfinsterungsmethode Kuaejs, die Ausnüchterungsmethode Gotscheffs).

Oder aber wir amüsieren uns zu Tode. Sehen Jupiter in der Bungalowtür erscheinen, während der "echte" Doppelgänger, der arme Amphitryon, wirkungslos mit der Dienstpistole auf seinen Diener ballert. Jupiter hält einen Polster vor seine Nacktheit geklemmt. Er verspricht dem Gehörnten, von der eigenen Frau obendrein noch Bespuckten einen "Halbgott" als Sohn.

Der wird dann gewiss Flugkapitän werden und eifrig Freiflugmeilen sammeln. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.8.2006)