Sehr geehrter Herr Parteivorsitzender Dr. Gusenbauer! Nach Bekanntgabe der Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen habe ich mich entschlossen, meine Mitgliedschaft bei der SPÖ niederzulegen. Da dieser an sich private Schritt gleichzeitig sehr politisch ist, lege ich Ihnen hier meine Beweggründe dar.

Bei meinem Beitritt war ich 18 Jahre alt. Ich wollte mich politisch betätigen und fand in meiner Heimatgemeinde idealistische Genossen, die Sozialismus so leben, wie ich es mir vorstellte. Sie wurden damals gerade zum Parteivorsitzenden gewählt, und ich war der Meinung, dass Sie dieses Amt in einer Art bekleiden würden, die meiner Auffassung des sozialistischen Weges entspricht.

Der gestrige Ausgang der Koalitionsverhandlungen war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte - getragen habe ich mich mit dem Gedanken schon länger.

Mit großem Argwohn verfolgte ich im Herbst die Verhandlungen mit der ÖVP und das Abrücken der SPÖ von ihrer Forderung nach der Abschaffung der Studiengebühren. Es ist durchaus verständlich, dass man Kompromisse eingehen muss, wenn zwei Parteien mit kontroversiellen Meinungen zu einer Einigung kommen wollen.

Nicht akzeptabel ist aber, wenn Sie den Ausweg aus dieser Situation mithilfe populistischer Totschlagargumente zu finden versuchen. Ja, nach gängigem Maßstab bin ich eine "Bummelstudentin" - aber nicht aufgrund persönlicher Antriebslosigkeit, sondern durch ehrenamtliches Engagement in der Österreichischen Hochschülerschaft. Und das honoriert meine Partei mit Pauschalbeschimpfungen?

Zu guter Lletzt setzt die SPÖ der Sache noch die Krone auf, indem sie Studiengebühren durch Arbeitsleistung substituieren möchte. Nicht nur, dass dieser Vorschlag eine Verhöhnung Ihrer eigenen Wahlversprechen ist, er drückt den Studierenden wieder einmal den Stempel "Sozialschmarotzer" auf. Von den fiktiven 6,05 Euro Stundenlohn ganz zu schweigen. Jeder Zettelverteiler verdient besser.

Eine SPÖ, die derartige Inhalte vertritt, ist nicht mehr die SPÖ, der ich beigetreten bin. Dabei zu bleiben, hieße meine Ideale zu verraten. Bedauerlicherweise trifft mein Austritt vor allem die Basis der Partei, welche an chronischem Mangel an jungem Nachwuchs krankt.

Aber auch ich habe mit meinem Schritt verloren. Seit meinem Beitritt habe ich immer gerne in der Partei mitgearbeitet und auch viele Freunde dort gefunden.

Nicht zuletzt hinterlässt der Austritt ein ideologisches und emotionales Loch in mir. Ich fühle mich verraten und betrogen. Ich glaube, so wie mir geht es vielen anderen jungen Parteimitgliedern und Wählerinnen. Ich würde mich freuen, eines Tages wieder in eine sozialdemokratische Partei zurückkehren zu können.(DER STANDARD, Printausgabe, 10.01.2007)