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Foto: EPA/Tolga Bozoglu
Istanbul - Als die Bewohner von Karabas im Südosten der Türkei hörten, was Irfan Erdem in ihrem Dorf vorhatte, waren sie entsetzt. Erdem, ein Schönheitschirurg aus der Großstadt Diyarbakir, hatte sich zusammen mit einigen Geschäftspartnern in Karabas acht Hektar Land gekauft, um Wein anzubauen. Die frommen Moslems in Karabas taten alles, um das Teufelszeug aus dem Dorf zu halten.

Das war vor eineinhalb Jahren. Inzwischen hat er sich mit den Leuten in Karabas geeinigt und aus Frankreich fast 150.000 Rebstöcke verschiedener Sorten von Merlot bis Chardonnay kommen lassen. In diesem Herbst soll es die erste Weinlese geben. "Leider wissen die Menschen hier nichts über Wein", sagt Erdem. "Wir werden es ihnen schon beibringen." Damit liegt er voll im Trend.

Das Hauptgebäude auf Erdems Weingut soll im Stil eines französischen Chateau errichtet werden. "Die schönste Weinfabrik der Türkei" solle es werden, schwärmt er. Ähnlich optimistisch sind Erdems Erwartungen für die geschäftliche Zukunft. Er werde seinen Wein nicht nur in der Türkei verkaufen, sondern in der ganzen Welt.

Neu belebte Tradition

Wenn jemand wie Erdem im hintersten Winkel eines islamischen Landes damit beginnt, Wein anzubauen und Reben aus Frankreich einzuführen, dann ist wohl etwas in Bewegung geraten. "Wir leben in der uralten Weinregion Mesopotamien", sagt Erdem. In Ostanatolien soll schon vor 5.000 Jahren Wein hergestellt worden sein, doch mit dem Siegeszug des Islam und der Osmanen im Mittelalter geriet diese Tradition nach und nach in Vergessenheit.

Heute ist die Türkei zwar einer der größten Produzenten von Weintrauben weltweit, doch nur ein Bruchteil davon wird zu Wein verarbeitet. Der Pro-Kopf-Konsum von Wein in der Türkei liegt bei etwa einem Liter pro Jahr. In Deutschland sind es 20 Liter, in Wein-Ländern wie Frankreich ist der Verbrauch noch höher.

Dabei sind die Türken - Islam hin oder her - dem Alkohol grundsätzlich nicht abgeneigt. Bier und der Nationalschnaps Raki konsumieren sie hektoliterweise. Nach Branchenangaben ist der Anteil der Alkoholkonsumenten in den vergangenen Jahren auf knapp 40 Prozent der erwachsenen Bevölkerung gestiegen, und das, obwohl in Ankara eine islamisch geprägte Regierung am Ruder ist.

Selbst Vertreter der gemäßigten Islamisten in Ankara wie Vizepremier Abdüllatif Sener haben die potenzielle Bedeutung des Weinbaus für die Türkei erkannt. Sener, wie die meisten Regierungspolitiker ein frommer Moslem, forderte eine Qualitätsoffensive für den türkischen Wein, auch wenn seine eigenen Kenntnisse eher theoretischer Natur sind. Er wisse alles über Wein, sagte Sener einmal mit einem Augenzwinkern - nur probiert habe er noch nie.

Teurer Wein

Dass es vielen Türken ähnlich geht, hat weniger mit Religion als mit den Preisen zu tun. Türkische Winzer wie Erdem müssen fehlendes Know-How mit teuren Rebstock-Importen ausgleichen oder aufwendig mit Trauben und Lagen experimentieren. Die Folge ist, dass türkische Weine im Verhältnis zur ausländischen Konkurrenz recht teuer sind.

Zudem sind die staatlichen Abgaben sehr hoch. Für einen Liter Tafelwein, der in der Herstellung umgerechnet etwa einen Euro koste, seien 1,60 Euro Luxussteuer fällig, beschwerte sich Murat Yazgan, Chef des Winzereibetriebes Yazgan Saraplari, vor Kurzem in der Wirtschaftszeitung "Referans". Und dann komme die Mehrwertsteuer noch hinzu: "Wir bezahlen also Steuer auf die Steuer."

Trotz dieser Widrigkeiten wird Wein in der Türkei immer beliebter. Wein zu trinken statt Bier, gilt als schick. Weil mehr Wettbewerber auf den lange von einigen großen Unternehmen beherrschten Markt drängen, sinken auch die Preise allmählich etwas, und das Angebot wird vielseitiger: Weinregale in Istanbuler Supermärkten sind heute wesentlich besser mit türkischen Erzeugnissen bestückt als noch vor wenigen Jahren. Aber das ist erst der Anfang, sagen die türkischen Winzer. In Anspielung auf die weltberühmte Weinindustrie im US-Staat Kalifornien kündigte Murat Yazgan an, sein Unternehmen werde die Ägäis-Region der Türkei in den nächsten Jahren zum "Napa-Tal" der Türkei machen. (Thomas Seibert/AFP)