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Weißes Papier ohne Wissen: Der "Schein", das Prüfungszeugnis, ist Studierenden oft wichtiger als der Lehrinhalt einer Vorlesung.

Foto: Reuters/Gea
Die Vorlesung als akademische Lunge der Universität? Philine Kowalski ist sich über die Rolle der Vorlesung nicht so sicher. Für ihren Vortrag über Vorlesungsprüfungen unterzog sie in erster Linie die Vorlesung einer Prüfung.

Akademische Lunge

Dem Ideal der Universität nach solle die Vorlesung den Studierenden die meisten Freiheiten bieten. "Die Studierenden können selbst entscheiden, wann sie kommen, wann sie gehen, was sie während des Vortrages machen, und was sie lernen", zitiert die Studierendenvertreterin und Germanistikstudentin die Vorzüge der Lehrveranstaltungsform, die sie allerdings nicht nachvollziehen kann. Das selbstständige Handeln erhöhe die Gefahr des Scheiterns der Vorlesung. Denn sehe man sich nur in den Hörsälen um, merke man, dass Vorlesungen oft nur spärlich besucht sind.

"Da scheint wohl die Luft raus zu sein", bezieht sich Kowalski auf die "akademische Lunge". Selbstständiges Denken und Lernen erlaube die Vorlesung nicht unbedingt, bei Prüfungen schon gar nicht. Dass bei Aufnahmeprüfungen von zugangsbeschränkten Fächern die Eignung der zukünftigen Studierenden per Multiple-Choice-Tests bewertet wird, sei sinnlos. Dass Wissen in falsch und richtig getrennt wird, nutzt eigentlich nur den PrüferInnen, die weniger Arbeit beim Korrigieren haben", kritisiert die Studierendenvertreterin. Die Zugangsbeschränkungen bezeichnet sie als "Entmündigung" bei der Studienentscheidung. Das Interesse am Studium solle mindestens so gewichtet werden wie die Ergebnisse eines Tests.

Falsche Selektionsverfahren

Kritik übt sie auch an Knockout-Prüfungen: "Was sagt es schon über Intelligenz und Studienmotivation aus, wenn jemand einfach nur gut auswendig lernen kann?" Vorlesungsprüfungen seien deshalb für die Aufnahmeverfahren am wenigsten geeignet.

Die Schwachstelle der Vorlesung sei, dass sie vorgibt, kritisches Denken zu fördern. "In Vorlesungsprüfungen wird jedoch nur selten nach eigenen Gedanken gefragt", berichtet Kowalski. Viel lieber prüfe man da Skripten. So würden sich VorlesungsleiterInnen Arbeit ersparen, und Studierende das eigene Denken. Während andere Vortragende zu klären versuchten, ob die Vorlesung noch zeitgemäß sei, fragt Kowalski: "Ist die Prüfung denn noch zeitgemäß?"

Vorlesung ohne Prüfung

Der Sinn von Skripten solle nach Ansicht der Germanistikstudentin sein, Vorgetragenes nachzulesen, Notizen zu machen und die Schrift durch eigene Gedanken zu ergänzen. Viel wichtiger als Auswendiglernen findet sie, zu wissen, wo Wissen nachgeschlagen werden muss. Kowalski schlägt vor, nicht die Vorlesung, sondern einfach die Prüfung abzuschaffen. Dann müssten einerseits die Vortragenden sich Gedanken machen, warum sie in einem leeren Hörsaal stehen. Andererseits müssten sich die Studierenden fragen, warum sie nicht erscheinen.

"Viele kommen nur zu Vorlesungen, um Scheine zu sammeln", befürchtet Kowalski. Studieren sei aber viel mehr als nur "Scheine zu passieren". Der Druck könnte den Studierenden und Lehrenden abgenommen werden, indem man die Vorlesung in zwei Teile trennt. "Stellen Sie sich vor, die ersten 45 Minuten wird vorgetragen, und in der zweiten Hälfte ist der Input der Studierenden gefragt", beschreibt die Germanistikstudentin die Idealsituation. Studierende würden freiwillig in der Vorlesung bleiben, da der Druck fällt. "Wenn wir Vorlesungen aktiv mitgestalten, können wir auch den Betrieb der Universität verändern", ruft Kowalski ihre KommilitonInnen zur aktiven Teilnahme auf. (lis/derStandard.at, 25. Jänner 2007)