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Herbstastern für das frühe Lebensunglück: Elisabeth (Patrycia Ziolkowska) im Volkstheater.

Foto: Techt/APA

Wien - In der neuen, denkwürdig uninspirierten Horváth-Aufführung des Wiener Volkstheaters hängen die "kleinen Leute" ihre nichtig-bösen Phrasen an die ganz große Stil-Glocke - so als würde mit jedem "Stille"-Zeichen, das in den ingeniösen Ödön-von-Horváth-Partituren verzeichnet steht, zugleich eine Art Bühnenpfingstfest gefeiert.

In Antoine Uitdehaags Inszenierung von Glaube Liebe Hoffnung, einem völlig skelettierten "kleinen Totentanz in fünf Bildern" von 1932, soll man möglichst das Weltall rauschen hören. Vor nachtschwarzem Himmel voller Illusionssternschnuppen steht ein in der Mitte durchgeschnittener Pressholzcontainer (Bühne: Tom Schenk). In diesem anatomischen Institut landet auf dem Autopsietisch, wer in den ewig aktuellen Zeiten des "Abbaus" von Verdienstmöglichkeiten unter dringenden Prekariatsverdacht gerät.

Elisabeth (Patrycia Ziolkowska), die bloß 150 Mark braucht, um einen Wandergewerbeschein für den Verkauf von Damenwäsche zu ergattern, steht von Anfang an unter dem Druck unleidlicher Verhältnisse: Das längste aller "Stille"-Zeichen ist das höhnische Misstrauen, mit dem man eine junge, ansehnliche Frau auf der Höhe ihrer Lebensunentschiedenheit bedenkt.

Und so ist man zwar erschüttert, mit welchen Horváth-Misstönen große Teile des Volkstheater-Ensembles immer wieder aufwarten: Als wären sie allesamt Sprecher eines nach Oberbayern hinübergequetschten Strindberg-Traumspiels: wackere Paragrafenreiter aus schartigem Typenholz und weinerlich unterlegte Gemütsschuftikusse mit Taubenfütterungsbedürfnis (Rainer Frieb als Präparator). Einzig Beatrice Frey im giftgrünen Wollkostüm spreizt als "Frau Amtsgerichtsrat" eine grandiose Salonviper in den Container, wo sie bei Vera Borek (als Wäschegrossistin Prantl) immerhin auf ein mutmaßlich mit Likör betriebenes Matronatskraftwerk angewandter Menschenausbeutung stößt.

Elisabeth (Ziolkowska) aber ist aus anderem Marterholz geschnitzt. Elegisch an der Rampe ruckend und zuckend wie ein Wildtäubchen, die wasserhellen Augen wie Brennstäbe auf den Gemütsunrat der anderen gerichtet, enthält dieses Horváth-Fräulein immerhin die Keime eines besseren, deutlich selbstbestimmteren Lebensvollzugs. Ziolkowska spielt gleichsam unter der Hand, hinter der Maske ihres geschmerzten Lächelns hervor, die Rollen der "Emanzipierung" mit.

Sie erwirtschaftet Überschüsse des Ausdrucks, die zwar des Öfteren mit der lieblosen Verwaltung des Textes in Kollision geraten. Sie zaubert aber unter der Sch(m)utzhülle der Fräulein-Dressur immer wieder Goldkörner eines überschießenden Selbstbewusstseins hervor. Ein Solo - mit misstönender Begleitung. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.2.2007)