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Für die Studierenden eröffnet sich mit der neuen Ausbildung an der Uni Oldenburg endlich eine Perspektive abseits von Arbeitslosigkeit oder Hilfjobs. Ihre Aussichten auf eine Anstellung in pädagogischen Berufen, im Sozialbereich oder bei und Beratungsstellen stehen gut.

Foto: APA/dpa/Kumm

Ein Rechtsanwalt aus Teheran als Putzkraft in einer Fleischhauerei. Ein Chefingenieur der russischen Sojus-Rakete als Hausmeister. Ein ehemaliger Richter als "Mädchen für alles" im Kindergarten. Ein Chefarzt der Gynäkologie aus Kasachstan als Hilfskrankenpfleger. Was unglaublich klingt, ist in vielen westeuropäischen Ländern an der Tagesordnung. Hoch qualifizierte MigrantInnen haben in ihrem "neuen" Land keine Chance auf qualifizierte Jobs. Der Grund: Ihre Abschlusszeugnisse aus dem Heimatland werden meist nicht anerkannt. "Sie gelten als ungelernte Arbeitskräfte, egal wie viele Hochschulstudien sie absolviert haben", berichtet Rolf Meinhardt von der Uni Oldenburg im Gespräch mit derStandard.at.

Chancen für MigrantInnen

Die niedersächsische Universität hat schon seit einigen Jahren einen Fokus auf die mangelhafte Integration höher qualifizierter MigrantInnen gelegt – und als erste Uni Europas im vergangenen Oktober einen eigenen Studiengang gestartet, der sich an eben diese richtet. "Interkulturelle Bildung und Beratung", so nennt sich Rolf Meinhardts Entwicklung, auf die er hörbar stolz ist: Bewerber, die in ihrer Heimat mindestens zwei Semester lang ein sozialwissenschaftliches oder pädagogisches Studium absolviert haben und danach nach Deutschland kamen, können sich im Oldenburger Studiengang einschreiben. Nach zwei Jahren gibt es den Bachelorabschluss, und damit das Rüstzeug, um im Sozial- oder Bildungsbereich selber mit jungen MigrantInnen zu arbeiten. "Wir schlagen hier zwei Fliegen mit einer Klappe", ist Meinhardt überzeugt.

Brachliegende Kompetenzen

Einerseits lägen in Deutschland Kompetenzen brach, die eigentlich dringend gebraucht würden: Der Umgang mit jungen MigrantInnen überfordert oft Dolmetscher, die keine Ausbildung für soziale Arbeit haben - und die Sozialarbeiter, die mit migrantischen Jugendlichen arbeiten, beherrschen deren Sprache meist nicht. Hier gäbe es ein riesiges Potenzial für gut ausgebildete MigrantInnen, so Meinhardt.

Andererseits will der Studiengang auch die Situation der hoch qualifizierten Einwanderer selbst verbessern. 2002 zeigte eine Untersuchung in Niedersachsen: Obwohl mit Daueraufenthaltsstatus versehen und gut ausgebildet, waren dennoch 66 Prozent der befragten MigrantInnen arbeitslos. Sie hatten keine Chance auf einen ihrer Ausbildung und Erfahrung angemessenen Job und hielten sich teilweise mit Hilfstätigkeiten, als Bauarbeiter oder Holzfäller, über Wasser.

Vorreiter in Europa

"Hier geht es nicht nur darum, dieser Demütigung ein Ende zu setzen", so Meinhardt. Für ihn bedeutet Integration auch ein anerkannt werden, ein sich zu Hause fühlen - schwer, wenn einem bei der Einordnung ins neue Leben solche Stolpersteine in den Weg gelegt werden.

Nach der Bachelor-Prüfung können die Studenten bis zum Masterabschluss weiterstudieren - Studiengebühren müssen sie dafür nicht bezahlen. Finanziert wird die Ausbildung aus dem europäischen Flüchtlingsfonds. Allerdings hofft Meinhardt darauf, dass sich Land und Bund einen Ruck geben und das Projekt mitfinanzieren. "Wir sind Vorreiter in ganz Europa, das sollte für Deutschland, für Niedersachsen, für Oldenburg eine Vorreiterrolle sein, auf die man stolz sein kann". Viele ranghohe PolitikerInnen hätten schon signalisiert, dass das Studium auf ihre Unterstützung bauen könne - fixe Zusagen gibt es aber noch nicht.

Für die Studierenden eröffnet sich mit der neuen Ausbildung endlich eine Perspektive abseits von Arbeitslosigkeit oder Hilfsjobs. Ihre Aussichten auf eine Anstellung in pädagogischen Berufen, im Sozialbereich oder bei und Beratungsstellen stehen gut, so Meinhardt. "Diese Menschen bringen etwas mit, was wir in der Arbeit mit MigrantInnen unbedingt brauchen", erklärt der Leiter des Studienganges. "Wenn sie über Verfolgung, Folter und Traumatisierung sprechen, dann ist das keine bloße Theorie - die meisten von ihnen haben das selber erleben müssen.

Österreich zieht langsam nach

Der Studiengang an der Uni Oldenburg ist einzigartig - in Österreich gibt es keine ähnliche Institution. Dass im sozialen Bereich viel Potenzial qualifizierter MigrantInnen brach liegt, erkennt man aber auch hier schön langsam: Die Fachhochschule Campus Wien wandte sich im November erstmals explizit an Menschen mit Migrationshintergrund. "Gerade in Wien gibt es einen riesigen Bedarf an interkultureller Kompetenz", erklärt Barbara Bittner, Leiterin des Studienganges Sozialarbeit, im Gespräch mit derStandard.at. In Zusammenarbeit mit der MA17 will man deshalb MigrantInnen motivieren, sich in diesem Bereich aus- oder weiterzubilden. Diverse soziale Einrichtungen suchen verzweifelt nach Sozialarbeitern, für die Integration mehr als nur ein Wort ist. "Menschen mit Migrationshintergrund heben nicht nur hervor, wie wichtig Interkulturalität ist, sie sind auch eine Bereicherung für den Studiengang, die ProfessorInnen und die übrigen StudentInnen", so Bittner. 120 Personen waren bei dem Infoabend der FH vertreten, Bittner hofft auf "20 oder 30 Prozent" Studierende mit Migrationshintergrund im nächsten Studiengang.

Vorteile für beide Seiten

An der Uni Oldenburg ist der Andrang riesig. 24 Studenten aus 14 Ländern haben sich für den neuen interkulturellen Studiengang eingeschrieben - die Nachfrage war jedoch um ein vielfaches höher. Unter den neuen, alten StudentInnen sind Lehrer, Pädagogen, Sozialarbeiter. In zwei Jahren werden sie dem deutschen Arbeitsmarkt etwas bieten können, das er bitter nötig hat: Interkulturelle Kompetenz. Was sie dafür bekommen, klingt bescheiden, ist aber für die Betroffenen lebensnotwendig: Eine Anerkennung ihrer Leistungen und ihres Wissens. (Anita Zielina/derStandard.at, 26.02.2007)