Nicht wenige Fach- und Führungskräfte sind Eltern. Unausweichlich stehen sie folglich irgendwann vor der Frage: Was soll unser Kind werden? Sind Eignung und Neigung klar, fällt die Berufswahl nicht schwer. Die Regel ist das heute aber nicht. Das Ausschlussverfahren kann helfen. Hartmut Volk fasst die wichtigsten Regeln fasst aus dem Gespräch mit Personalentwickler Stefan Müller zusammen.

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1. Auf keinen Fall einen Beruf wählen, nur weil er mit wenig Aufwand erreichbar ist!

Es gibt Berufe, deren Ansehen höher ist als ihr Anspruch. Klassisches Beispiel ist die Stewardess, die sich von einer normalen Bedienung nur durch ihren fliegenden Arbeitsplatz unterscheidet. Sorgfältig betrachtet zeigen Dauer und Inhalt des mit einer soliden beruflichen Ausbildung in der Gastronomie nicht vergleichbaren Airline-Trainings die begrenzten Perspektiven dieses Traumberufs.

Ähnlich sieht es mit dem Web-Designer aus. Als der Beruf vor einigen Jahren modern wurde, meinten viele, die schon mal eine Nacht im Internet durchsurften, ihre Leidenschaft zum Beruf machen zu können. Als sich die Internet-Euphorie verflüchtigte, standen die ersten (oder die zuletzt engagierten) "Experten" wieder auf der Straße. Die Substanz für eine Karriere in der knallharten IT-Branche fehlte. Immer mehr Lehrer leiden unter Burnout-Erscheinungen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Tatsache, dass sich unter Lehrern zu viele finden, die ein anderes Studium abgebrochen haben bzw. dem Lockruf folgten, "etwas Leichtes" studieren zu können.

Fazit:

Der "bequeme Weg" birgt die Gefahr, früher oder später heftige Probleme zu machen!

2. Nie einen Beruf wählen, weil der Arbeitsmarkt gerade günstig ist!

Lehrerschwemme und -mangel wechseln sich ab. IT-Berufe boomten Ende der 90er-Jahre mit der Folge, dass zeitweilig eingestellt wurde, wer SAP R/3 fließend aussprechen konnte. Heute wird streng nach Qualifikation und Leistung gefragt. Was heute am Arbeitsmarkt "in" ist, muss das nicht für allen Zeiten sein. Und was heute wenig gefragt ist, kann vielleicht schon bald (wieder) zu einem Mangelberuf werden.

Fazit:

Wer sich mit echtem Interesse und innerer Begeisterung einem Fachgebiet widmet und dazu gute Ergebnissen erzielt, wird in seinem Idealberuf auch auf einem knappen Markt langfristig eher reüssieren als einer, der nur den derzeit offenen Stellen nachläuft.

3. Nie einen Beruf wählen, weil er "chic" ist!

Moden und Trends kommen und gehen immer schneller - und mit ihnen die einschlägigen "chicen" Berufsbilder.

Berufe, für die Arbeitsplätze mutmaßlich nur in begrenztem Umfang zur Verfügung stehen oder gegebenenfalls nach einem kurzen Boom wieder verschwinden, mögen spannend sein und Gesprächsstoff liefern. Auf Dauer aber landet der dort Tätige in einer beruflichen Sackgasse.

Fazit:

Wer seinen Beruf als Mittel der Selbstdarstelllung sieht und als Fassade ausübt, wird sehr schnell merken, dass innere Leere entsteht, die bei abnehmender Bewunderung äußerst schmerzhafte Folgen auf Motivation, Leistung und letztlich Arbeitsplatzsicherheit hat.

4. Nie einen Beruf wählen, weil er "vor der Haustür" liegt!

Da gibt es eine Firma, zu der man zu Fuß oder sonst rasch kommen kann. Da gibt es eine Hochschule, die einem den Status des "Heimschläfers" erhält. Da gibt es eine Tante, bei der man während des Studiums wohnen könnte. Oder man will lieber in den heimatlichen Gefilden gewohnter Sprache und Mentalität bleiben. Oder man sucht einen Studienort mit hohem Freizeitwert aus ... Statt sich über das genau passende oder gewünschte Ziel den Kopf zu zerbrechen, wird die Entscheidung anhand von Bequemlichkeitskriterien "optimiert".

Fazit:

Gerade die Chance, während einer Ausbildung oder eines Studiums sich in Selbstorganisation zu üben, kommt vielen ihr ganzes weiteres Berufsleben zugute.

Die Auseinandersetzung mit einem anderen Menschenschlag kann die Initialzündung dafür liefern, sich im nächsten Schritt ins Ausland zu wagen, was wiederum Wegbereiter einer Karriere in internationalen Unternehmen sein kann.

5. Nie einen Beruf unter Dankbarkeitsaspekten wählen!

Manche wählen einen so genannten "sozialen Beruf" und erwarten, dass betreute Menschen in diesem Umfeld in besonderem Maße dankbar für jede Leistung sein müssten. Antrieb ist dabei die Hoffnung, vermehrte Zuwendung zu anderen in vermehrte Zuwendung zur eigenen Person zu verwandeln. Eigene defizitäre Bedürfnisse werden in der Hoffnung in andere hineinprojiziert, auf diesem Wege für sich und seine Befindlichkeit Lösungen zu finden. Das führt meist zu schmerzhafter Ernüchterung und der Frage: Bin ich im richtigen Beruf?

Fazit:

Gerade helfende, heilende, lehrende Berufe erfordern ein besonders starkes Persönlichkeitsgerüst - und das Wissen: Befriedigung im Beruf kann nur aus der ureigenen Überzeugung kommen, mit seiner Begabung und Einsatzbereitschaft genau am richtigen Platz zu sein.

6. Nie einen vermeintlich sicheren Beruf wählen!

Unschlagbarer Rat noch vor wenigen Jahren: "Geh zur Bank, das ist ein sicherer Job." Heute ist es das vielleicht beste Beispiel dafür, dass es den sicheren Job wohl nie mehr geben wird. Ebenso in Luft aufgelöst hat sich die Hoffnung, dass in namhaften Großkonzernen die Arbeitsplätze automatisch sicher sind. Und als nicht weniger trügerisch erweist sich die Erwartung, bestimmte Branchen seien sicher.

Vor allem Unternehmen, die dem Diktat des Shareholder-Value unterliegen, werden als Arbeitgeber immer unsicherer. Demgegenüber gibt es mittelständische Betriebe, die eine auf gesundes Wachstum angelegte Entwicklung verfolgen und damit seit Jahren weitaus weniger Schwankungen erleben.

Fazit:

Die Frage für den Einzelnen muss also lauten, ob er oder sie eher in ein großes Unternehmen mit stark arbeitsteiliger Struktur passt oder eher in ein kleines mit breiten Aufgabengebieten, gegebenenfalls früher Verantwortung und weniger festgefügten Prozessen. Und ob er oder sie vorzieht, auch den Chef wechseln zu können oder die langfristige Bindung an handelnde (und gelegentlich sehr kantige) Personen vorzieht.

7. Nie einen Beruf wählen, weil dort schnell Karriere gemacht werden kann!

Es gibt Branchen, in denen man schnell zu Titeln und ersten Führungsaufgaben kommt. Jedoch: Ein Blick hinter die Kulissen führt oft zu der ernüchternden Wahrnehmung, dass ein Stück Lebensreife und -erfahrung im Umgang mit sich selbst, mit Mitarbeitern und Kunden, mithin ein langsame(re)s Wachstum der Karriere für die "Weisheit" des Handelns und Entscheidens und damit für die langfristige berufliche Stabilität außerordentlich hilfreich sind.

Fazit:

Wer scheinbar ohne Widerstand die Karriereleiter hinauffliegt, fällt nicht selten tief vom hohen Ross. Oft, weil er das Gespür für sein Umfeld bzw. den klaren Blick für seine tatsächliche persönliche Bedeutung nie entwickeln konnte. Wenn das Gefühl der Unfehlbarkeit oder die Wahrnehmung, stets und überall über den Dingen zu stehen, zu wirken beginnt, entsteht zunächst bei anderen und schließlich in eigener Sache unermesslicher Schaden.

8. Nie einen Beruf wählen, weil er zu erben ist!

Es kann ein tragisches Schicksal sein, einen erfolgreichen Vater zu haben und zum Nachfolger bestimmt zu werden. Dennoch gibt es zahllose Geschäftsführer wider Willen. Es gibt nichts Schlimmeres, als auf einen Beruf festgelegt zu werden, den man selbst nie gewählt hätte.

Fazit:

Der Nachkomme muss für sich vor allem eine Frage klären: Fasziniert mich der Betrieb (oder die Arztpraxis oder die Anwaltskanzlei etc.), inspiriert mich die Aufgabenstellung, reizt mich das Unternehmertum einschließlich des zeitlichen Engagements, oder will ich nur das Erbe sichern, die Einnahmequelle anzapfen, vom Ertrag möglichst viel profitieren?

Ein abgehalfterter Nachfolge-Unternehmer ist am Arbeitsmarkt ein einziges Schreckgespenst: Hier findet die Karriere in den seltensten Fällen eine adäquate Fortsetzung.

9. Nie einen Beruf wählen, weil einem nichts Besseres einfällt!

Beim Einzelnen herrscht mehr denn je große Unklarheit darüber, wo er oder sie eigentlich beruflich hingehört. Also vertagt man die berufliche Orientierung und geht in Ausbildungen oder Studiengänge, damit man "mal was macht" - möglichst unverfänglich bezüglich der späteren Festlegung.

"Fangen wir einfach mal was an - alles Weitere ergibt sich dann schon" ist ein zweifelhafter Start in ein Unterfangen, das einmal die eigene Existenz ein Leben lang tragen soll. Kein Wunder, dass daraus für viele eine - vermeidbare! - lebenslange Schlangenlinie wird, ohne dass sie je erfahren, welche und wie viele Fähigkeiten und Stärken in ihrer Person eigentlich stecken.

Fazit:

Eine solide Potenzialanalyse beim Spezialisten der Laufbahnberatung kostet Geld. Zu viel Geld scheinbar. Dass falsche bzw. abgebrochene Ausbildungs- bzw. Studiengänge, mangelnde Begeisterung für den Beruf mit entsprechend mäßigen Leistungen auf Dauer nicht nur das Zigfache kosten, sondern auch die berufliche Stabilität massiv untergraben und die Lebensfreude schwer beeinträchtigen, wird hier einfach ausgeblendet.

10. Nie einen Beruf aus Anhänglichkeit wählen!

Es ist gefährlich, berufliche Entscheidungen an eine persönliche Beziehung zu binden, die sich nach einiger Zeit aus vielfältigen Gründen auflösen kann. Der Einzelne wird dann auf die Frage zurückgeworfen, ob er oder sie den für sich richtigen Weg eingeschlagen und einen Beruf gemäß den eigenen Fähigkeiten und Neigungen gewählt hat.

Fazit:

Gerade der Aufbau neuer Beziehungen kann nicht früh genug geübt werden. Dieser Faktor ist von entscheidender Wirkung für die spätere berufliche Stabilität.

Es ist nicht ratsam, sich bezüglich der Eroberung neuer "Welten" in Watte zu packen und dabei Weichen zu stellen, die für die persönliche Entwicklung kontraproduktiv sind. Wer frühzeitig lernt, auf seine Mitmenschen zuzugehen, wird die Erfahrung machen, dass ihm das die heutige (Berufs-)Welt wunderbar erschließt. (Hartmut Volk/DER STANDARD Printausgabe, 24./25. Februar 2007)