Mehr Fotos in der Ansichtssache zu Salinas.

Foto: Freund
Grafik: STANDARD
Es gibt zwei Gründe, warum Reisende in Kalifornien so selten nach Salinas kommen. Der eine ist die Interstate5, die weit im Landesinneren fast schnurgerade Los Angeles mit der Bucht von San Francisco verbindet. Der andere ist die Alternative, die Küstenstraße, deren aufgereihte Sehenswürdigkeiten von den Touristen abgehakt werden.

Sind sie erst einmal bei Carmel, Pacific Grove, Monterey und Marina, dann übersehen sie wohl, dass nur acht Meilen landeinwärts auch etwas Sehenswertes liegt. Obwohl, zumindest den literarisch Interessierten hätte bei der zur Shopping-Mall degradierten Cannery Row an der Bucht von Monterey etwas in den Sinn kommen können.

"Salatschüssel Amerikas"

Salinas, wie in: "Somewhere near Salinas, Lord, I let her slip away, Looking for that home ..." In der Nähe von Salinas würde Bobby McGee (bei Kris Kristofferson weiblichen, bei Janis Joplin männlichen Geschlechts) heute die größten organischen Gemüsefarmen des Landes finden. Und schon viel länger ist das Salinas-Tal als "Salatschüssel Amerikas" bekannt, bevorzugt durch ein besonders günstiges Klima zwischen dem Pazifik und den Bergketten nahe der Küste. Hier haben schon vor Generationen die Landarbeiter Obst und Grünzeug geerntet. Und bei "Früchte des Zorns" müsste der belletristisch Beschlagene wieder aufhorchen und spüren, in welcher Gegend er sich befindet.

Steinbecks Geburtsort

Salinas nämlich als Geburtsort und letzte Ruhestätte von John Steinbeck (1902-1068): der Ort, von dem es ihn immer wieder wegzog, zur Stanford Universität, nach New York und Europa, auf der Suche nach Arbeit, Geld und Anerkennung und weil seine Nachbarn ihm seine sozialkritischen Romane verübelten; wohin er aber doch auch zurückkehrte; und wo er die meisten seiner Geschichten ansiedelte. "Von Mäusen und Menschen", "Jenseits von Eden", "Tortilla Flat", "Das Tal des Himmels" - sie alle spielen in der Umgebung der Bezirkshauptstadt von Monterey County, und Cannery Row ist natürlich die Ansammlung der Konservendosenfabriken für die fischverarbeitende Industrie, die Straße der Ölsardinen.

Die gibt es nicht mehr. Und es gibt auch nicht mehr das alte Dorf, an das sich der 60-Jährige in "Travels with Charley" erinnerte: "Ich weiß noch, wie Salinas stolz verkündete, dass es 4000 Einwohner hatte." Mittlerweile zählt Salinas 150.000, es dehnt sich wie viele südkalifornische Gemeinden träge und unkonturiert in alle Richtungen aus, und man würde - vor allem, wenn man keine literarischen Reminiszenzen pflegt - nicht unbedingt auf die Idee kommen, gerade hier von der Route 101, der dritten Nord-Süd-Verbindung, abzufahren und sich in eine der überbreiten, palmengesäumten Verkehrsadern zu ergeben.

Das allerdings wäre schade. Es verhält sich hier wie so oft mit Gemeinden, die aus ihren ursprünglichen Nähten platzen. Irgendwo innerhalb der Jahresringe und Speckschichten, der Schlafgürtel und Industrieansiedlungsparks mag ein Kern liegen. "Ursprung" wird dann zwar relativ sein, denn wer weiß, was dieser Stadtkern seinerseits verdrängt hat.

Aber man kann Glück haben. Zum Beispiel, wenn Einheimische den Reisenden um neun am Abend ein "vielleicht noch offenes Gasthaus" in der Main Street bei Gabilan Street empfehlen. Dessen Küche hatte dann zwar schon geschlossen, doch was von den umgebenden Häusern in der Dunkelheit gerade noch erkennbar war, machte auf den nächsten Tag neugierig.

Oldtown Salinas

Der offenbarte ein Oldtown Salinas, wie man es sich im kalifornischen Bilderbuch nicht besser hätte ausmalen können. Der Ort zeigt hier, in den wenigen Straßenzügen zwischen San Luis und Central, zwischen Market und Church Street, seine Blütezeit, und die reichte von der vorletzten Jahrhundertwende bis in die Hochblüte des Art déco.

Die frühere Bezirksbank, heute die Nordstrom Law Firm, ist ein griechische Säulen zitierender klassizistischer Bau, das McDougall-Gebäude ein verspielter, mit abgerundeten Erkern, Giebelchen und viel ziselierter Fassadenarbeit bestückter Zitatenschatz. Manchen der Häuser sieht man ihre ursprüngliche Bedeutung an. Da verbleichen noch die Buchstaben auf einem Elektroladen, die verkünden, dass hier einmal ein Department Store stand. Dort lässt sich vermuten, dass die mit Alu-Gestänge unterteilte Front früher ein Kinoeingang gewesen sein mag.

Ein anderes Kino steht sogar noch als solches da, das Fox, 1921 errichtet, ein wenig nachgebessert: ein Prachtbeispiel von Art déco. Und nicht das einzige. Within walking distance - und das heißt an der Westküste: so nah, dass sich Aus- und Einparken nicht lohnen - machen sich mehrere gut erhaltene oder revitalisierte Gebäude des International Style breit oder besser hoch. Es ist der Stil, der normalerweise mit dem Vorkriegsglamour von Los Angeles in Verbindung gebracht wird. Hier zeugt er von den Boom-Zeiten, als Salinas am Abend lebendiger gewesen sein muss und als die Greyhound-Busse Hochbetrieb hatten.

Bus-Depot

Das Bus-Depot mit seinem aus alten Go-West-Filmen bekannten Schild - ebenfalls ein Art-déco-Produkt - gibt es noch, nur fahren weit und breit keine Busse. Aber etwas steht nicht weit entfernt, fast hätte man vor lauter architektonischer Eindrücke darauf vergessen: das National Steinbeck Center (1998) an der Ecke Central und Main. Es ist der Schrein, in dem der seinerzeit, zumindest bis zum Nobelpreis 1962, hier wenig verehrte Autor nun gefeiert wird. Mit dieser Kombination aus Leistungsschau, Museum (in einem Saal parkt der Camper aus "Travels with Charley"), Buchladen und Forschungsarchiv hat die Stadt Außerordentliches geleistet - immerhin ist sie seit einigen Jahrzehnten von gröberen Finanzproblemen geplagt; vor einiger Zeit hat sie ironischerweise beinahe ihre Büchereien schließen müssen.

East of Eden

Drei Blocks westwärts (nicht mehr ganz walking distance ...), auf 132 Central Street, steht schließlich das Haus, in dem John Steinbeck bis 1919 gewohnt hat. (Heute wird es als Restaurant geführt.) Der Autor hat auch, wie die Broschüre "Steinbeck Country" eindrucksvoll belegt, über kurz oder lang an den verschiedensten Adressen in Monterey County gewohnt. Eine Gegend kannte er aber nur von abendlichen Besuchen als Junger. Sie lag und liegt östlich vom Haus der Familie, jenseits der Geleise der Southern Pacific - East of Eden. Es gibt dort weder, was gelegentlich vermutet wird, den Ortsteil Eden noch das Paradies. Vielmehr befand sich, on the wrong side of the tracks, das alte Chinatown, das Vergnügungsviertel von Salinas. Auch das gibt es nicht mehr. (Michael Freund/DER STANDARD/Rondo/9.3.2007)