"Eine Kultur des Zitierens": Plagiatsjägerin Debora Weber-Wulff.

Foto: Standard/Weber-Wulff
Debora Weber-Wulff, Medieninformatikerin und Plagiatsjägerin in Deutschland, über kahle Männerhäupter und üppige Wortkreationen, fremde Federn und falsche Quellen, erste Verdachtsmomente und letzte Beweisverfahren. Mit ihr sprach Lisa Nimmervoll.

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Standard: Wo beginnt etwas, ein Plagiat zu sein? Ein nicht korrekt zitiertes Zitat, ein unidentifizierter Absatz?

Weber-Wulff: Mein üblicher Spruch: Es ist wie bei der Frage, ab wann ein Mann eine Glatze trägt. Ist es die Anzahl der Haare? Der Prozentsatz an freigelegter Haut? Es ist klar, wenn es ist, und es ist klar, wenn es nicht ist, aber es gibt viele Zwischenstufen.

Standard: Was weckt den Verdacht der "Plagiatsjägerin"?

Weber-Wulff: Wenn Arbeiten extrem gut geschrieben sind oder besonders gute Wortschöpfungen und Alliterationen, also Stabreime, enthalten, kann man schon einen Anfangsverdacht hegen. Stilwechsel mitten in der Arbeit deuten darauf hin, dass Passagen "geborgt" sind. Orthografische und grammatikalische Fehler, die vielleicht aus dem Original kopiert wurden. Auch an unterschiedlichen Formatierungen im Text kann man Plagiate erkennen.

Standard: Wie können Betreuer Plagiate enttarnen? Sie haben dazu eine Anleitung erarbeitet, die im Internet steht.

Weber-Wulff: Wer einen Verdacht hat, muss eine geeignete Stichprobe nehmen, da genügen oft drei Substantive, ein wörtliches Zitat oder seltene Eigennamen aus einer verdächtigen Arbeit, die man in Suchmaschinen eingibt und die Quellen dazu sucht. Fundstellen müssen dokumentiert und gesichert werden. Als Zeitlimit, damit die Jagd nicht endlos wird, schlage ich zwanzig Minuten für den Plagiats-Check bei einer Abschlussarbeit vor. Bei hinreichendem Verdacht sollte man auch Bibliotheksrecherche machen.

Standard: Was tun, wenn Plagiatsstellen entdeckt werden?

Weber-Wulff: Es muss an jeder Hochschule ein Gremium geben, das entscheidet, was zu tun ist, jeder Fall ist ein Einzelfall.

Standard: Plagiatoren sind "schuldig", aber was ist mit den Betreuern, die sich Plagiate unterschieben lassen und dafür Diplome oder Doktortitel herschenken - sanktionsfrei?

Weber-Wulff: Das muss jede Hochschule für sich entscheiden - aber sie muss auch darüber diskutieren, wie es dazu kam. Schuld ist immer so schwer zu bestimmen und recht nutzlos, wenn sie erst verteilt worden ist. Ich suche lieber nach Lösungen.

Standard: Hat die Zahl der Plagiate zugenommen, oder werden aufgrund technischer Möglichkeiten nur mehr bekannt?

Weber-Wulff: Was nicht messbar ist, kann nicht als zunehmend oder abnehmend gekennzeichnet sein. Es gibt Plagiat, und es ist ein Problem. Je genauer man hinschaut, umso mehr findet man.

Standard: Vielen Studierenden fehlt offenkundig das Bewusstsein, was ein Plagiat überhaupt ist, was korrekt ist. Was können die Unis da machen?

Weber-Wulff: Das Thema problematisieren, reden und aufklären! Im ersten Semester einen Kurs über wissenschaftliches Arbeiten geben und mit gutem Beispiel als Professor vorangehen. Wir brauchen eine Kultur des Zitierens, Respekt vor den Gedanken anderer und viel mehr Diskussion über Ethik und Moral.

Standard: In Österreich kaufen einige Universitäten Plagiatssoftware, durch die in Zukunft jede Diplom- und Doktorarbeit durchlaufen soll. Was halten Sie von solchen Maßnahmen?

Weber-Wulff: Das ist ein Voodoo-Effekt. Man zeigt Aktivität und hofft, dass das Problem dann weg geht. Man kann aber mit Software keine sozialen Probleme lösen! Die Software kann nicht entscheiden, wie schwer ein Plagiat ist, oder ob es überhaupt ein Plagiat ist, es ist nur ein Werkzeug, und oft ein schlechtes. Mein Test von Plagiatserkennungssoftware zeigte, dass man oft genauso gut eine Münze werfen kann, um zu entscheiden, ob eine Arbeit ein Plagiat ist oder nicht - so ungenau arbeiten sie. Es gibt beides, falsche positive und falsche negative Angaben.

Standard: Sie sind auch Wikipedianerin. Welche Rolle spielen Wikipedia und das Internet im Zusammenhang mit Plagiaten an Schulen und Unis?

Weber-Wulff: Wikipedia verursacht kein Plagiat. Das ist alleine Sache der Plagiatoren. Die Lizenzbestimmungen von Wikipedia haben klare Regeln für Kopieren von Inhalten. Wikipedia ist klasse für einen ersten Eindruck, ich finde es aber nicht zitierfähig - schaue lieber mal die Quellen selber an! Und erst recht nicht von dort kopieren - das rieche ich sofort, gerade passiert im vergangenen Semester. (DER STANDARD, Printausgabe, 17./18. März 2007)