Beispielsweise im Theater an der Wien. In dessen Kellern hatte sich die "Hölle " schon einmal häuslich niedergelassen. 1905 hatte sie ihre Pforten geöffnet: Eine Kabarettbühne, auf der der hohe Ernst der Opernstoffe, die über ihrem Dach gegeben wurden, seine Untiefen zeigte. Fritz Grünbaum übernahm zeitweilig die künstlerische Leitung dieser "Hölle von größter Behaglichkeit, in der sich die Menschen gern festhalten lassen werden ", wie die Wiener Allgemeine Zeitung bereits am Tag nach der Eröffnung prognostizierte.
Monopol des Infernos
Mehr als dreißig Jahre, bis 1938 die Nationalsozialisten als Monopolisten des Infernos die höllische Konkurrenz schlossen, prasselte das Feuer des Wiener Kabaretts. Nach 1945 mutierte das Theater an der Wien zur Ausweichbühne für die zerbombte Staatsoper – und in der geschlossenen Hölle probte das Ballett. Später degenerierte der Raum zum Pausenbuffet.
Eine Höllenschande gewissermaßen. Die nun ein Ende fand: Mit vorläufig vier Produktionen während der nächsten Monate begleitet und kommentiert das Wiener Kabinetttheater, immer noch Österreichs konkurrenzlos beste Figuren- und Objekttheaterbühne, en miniature das Geschehen der Großkopferten, sprich der Oper, von oben.
Dass Orpheus, der routinierte Höllengänger, dem Publikum den Weg weist, versteht sich. Zur Hölle mit Orpheus, wie im Untertitel der ersten Produktion geschrieben steht, erweist sich in der Regie von Thomas Reichert als überaus ersprießlicher Trip. Das Kabinetttheater verwandelt den kleinen Saal in eine entlegene Requisitenkammer, in der die barocken Helden von einst im tristen Schlummer des Vergessens dämmern.
Begleitet von Akkordeon, Flöte und Violoncello (Georg Schulz, Yvonne Weichsel, Ruth Straub), verirrt sich der Sänger – Ulfried Haselsteiner – in die Tiefe und wird von den untoten Puppen umworben und zum Duett gebeten, quer durch die Kompositionen der Jahrhunderte, von Monteverdi über Gluck bis Offenbach. Vor allem Julia Reicherts offenbar unerschöpfliche Fantasie, mit der sie Cancan-Tänzerinnen mit Knickbeinen und keckem Po, grimmige Cerberusse, Haifischzahn-Wellen und barbusige Euridicen vor Orpheus‘ – und unsere – betörten Sinne zaubert, macht die Höllenfahrt zum theatralen Muss. Wenn sie bedauerlicherweise auch nicht ewig währt, sondern nur knapp eine Stunde. (Cornelia Niedermeier / DER STANDARD, Printausgabe, 22.03.2007)