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Zur Person

Scott Ritter diente zwölf Jahre im US Marine Corps und nahm am ersten Irak-Krieg teil. Von 1991 bis 1998 suchte er als UNSCOM-Inspektor im Irak nach Massenvernichtungswaffen. Nach seiner Ausweisung bestätigte er US-Medien gegenüber Berichte, dass die CIA versuchte, sich der UNSCOM-Mission zu Spionagezwecken zu bedienen.

In der Frage, ob der Irak eine Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen darstelle, stellte er sich gegen die Positionen der Bush-Regierung (derStandard.at berichtete) und ist seither als einer ihrer heftigsten Kritiker bekannt.

Foto: APA/EPA/Lindsey Parnaby

Militäranalytiker William Scott Ritter sieht im US-Raketenschutzschild einen Versuch der Bush-Regierung, Russland zu isolieren und warnt Europa vor einer Teilnahme an dem umstrittenen Projekt. Im Gespräch mit Berthold Eder erklärt er, warum das US-System keinen Schutz vor russischen Atomraketen bietet und berichtet über seine Iran-Reise im September 2006.

derStandard.at: Was halten Sie vom umstrittenen Bau eines US-Raketenabwehrsystems in Osteuropa?

Ritter: Ich war in den 80er und 90er Jahren als Waffeninspektor an den Abrüstungsverhandlungen beteiligt, die die Bedrohung Europas durch Atomwaffen praktisch beendet haben. Die Russen haben ihre Kurz- und Mittelstreckenraketen abgebaut, die Amerikaner ihre Pershings und Cruise Missiles abgezogen. Seitdem muss Europa nicht mehr unter der ständigen Bedrohung durch diese Waffen leben, was ein großer Fortschritt war.

Wenn sich die Europäer nach den Zeiten zurücksehnen, als russische Nuklearwaffen auf jede größere Stadt gerichtet waren, sollten sie das Raketenabwehrsystem bauen. Vor den neuen Waffentechnologien, die die Russen dann entwickeln werden, bietet das veraltete US-System übrigens keinen Schutz.

derStandard.at: Offiziell richtet sich das System gegen Angriffe aus dem Iran ...

Ritter: Diese Behauptung ist absurd. Der sicherste Schutz vor einer solchen Bedrohung sind diplomatische Bemühungen und keine modernisierte Maginot-Linie. Die Bush-Regierung will mit dieser Anlage Russland, China und alle anderen Staaten, die eine Bedrohung für US-Interessen darstellen könnten, isolieren.

Es ist zu erwarten, dass Europa immer mehr von russischen Energielieferungen abhängen wird, was Moskau als Druckmittel für politische Zugeständnisse verwenden wird. Die USA sehen dies als Gefahr.

derStandard.at: Kritiker der Raketenschilds warnen vor einem neuen Wettrüsten. Besteht diese Gefahr wirklich?

Ritter: Die NATO-Osterweiterung bis an ihre Grenzen und dieses Rüstungsprojekt stellen eine Bedrohung für Russland dar. Moskau hat haben bereits angekündigt, ihr Verhältnis zu Europa neu zu überdenken, falls das Raketenabwehrsystem gebaut wird. Die Russen könnten sogar aus dem Mittelstreckenwaffensperrvertrag austreten und einen neuen Rüstungswettlauf einleiten. Eine neue Generation von Atomraketen würde Europa bedrohen.

Wenn die Europäer bei diesem Projekt mitmachen, haben sie es nicht besser verdient. Genießt den Frieden, solange ihr noch könnt, denn die nukleare Bedrohung wird 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche über euch hängen.

Erwartet ihr, dass euch die Vereinigten Staaten dann helfen? Europa wäre verrückt, wenn es sich darauf verließe und sollte sich gegen die Weltherrschaftsansprüche der USA stellen, die hinter diesem Projekt stehen.

derStandard.at: Sie waren im September 2006 im Iran. Wie ist die Menschenrechtslage im Vergleich zu anderen Staaten im Nahen Osten?

Ritter: Ich war nicht als Menschenrechts-Inspektor dort und kann deshalb nur meine persönlichen Eindrücke wiedergeben. Ich habe mehrere nahöstliche Diktaturen kennen gelernt und muss sagen, dass es überhaupt nicht meinen Erwartungen entsprach, was ich im Iran gesehen habe. Die Kontrolle, die die Regierung über die Bevölkerung ausübt, ist erstaunlich gering.

Ein typisches Kennzeichen von Diktaturen ist die staatliche Kontrolle des Informationsflusses. Im Gegensatz zu anderen Staaten gibt es im Iran kaum Checkpoints auf den Straßen, wo Ausweispapiere überprüft werden – die Leute können mit ihren Autos hinfahren, wohin sie wollen. Bei der Fahrt telefoniert jeder, Auslandsgespräche sind problemlos möglich. In Saddams Irak waren wie in vielen anderen Diktaturen Mobiltelefone verboten.

Laut Angaben des iranischen Telekommunikationsministeriums waren im März 2007 16,7 Millionen Mobiltelefone angemeldet

Satellitenantennen sind offiziell nicht gern gesehen, aber auf allen Wohnblocks stehen welche. Sogar die Kommandanten der Revolutionsgarden sehen ausländische Nachrichtenprogramme.

An der Menschenrechtssituation im Iran muss natürlich vieles kritisiert werden. Ich habe Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi kennen gelernt und unterstütze ihre Bemühungen voll und ganz. Die USA haben aber gerade in solchen Angelegenheiten selbst genug Probleme. Es ist also absurd, die Menschenrechte im Iran als Hindernis für eine Annäherung an den Westen zu bezeichnen. Sicher ist vieles verbesserungswürdig, aber der Iran ist definitiv kein Paradebeispiel für Menschenrechtsverletzungen.

derStandard.at: Welche Einstellung haben die Iraner, die Sie kennen gelernt haben, zu den USA?

Ritter: Mich hat überrascht, wie positiv die Mehrheit der Iraner die USA sieht. Viele sind uns dankbar, dass wir das Regime Saddam Husseins und die Taliban in ihren Nachbarländern Irak und Afghanistan gestürzt haben, die ja Feinde der iranischen Regierung waren. Sie wollen aber nicht, dass sich die USA in innenpolitische Angelegenheiten des Iran einmischen.

derStandard.at: Haben Sie Leute getroffen, die eine US-Intervention begrüßen würden?

Ritter: Ich habe mit ein paar Akademikern, die im Norden Teherans wohnen, gesprochen, die stärkeren Druck auf die iranische Regierung begrüßen würden, weil sie mit dem Mullah-Regime nicht glücklich sind. Aber sogar Leute, die eine US-Intervention begrüßen würden, realisieren, wenn sie über die Grenze in den Irak oder nach Afghanistan blicken, wie die US-Besatzung abläuft, dass für die Amerikaner die Rechte, die Existenzgrundlage und das Leben der Bevölkerung schlichtweg keine Relevanz haben.

In zahlreichen Gesprächen wurde mir deutlich gemacht, dass die USA im Fall einer Invasion mit dem erbitterten Widerstand eines Großteils der Bevölkerung zu rechnen haben. Die Iraner, die ich kennen gelernt habe, wollen keine Konfrontation, sondern gute Beziehungen zum Westen, die die Bemühungen, ihr Land zu modernisieren, fördern würden.

derStandard.at: Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Probleme der iranischen Bevölkerung?

Ritter: Arbeitslosigkeit und Überbevölkerung. Die Ökonomie leidet unter der Planwirtschaft und der Umleitung von dringend benötigten Ressourcen in Rüstungsprojekte. Viele Menschen ziehen aus dem ländlichen Raum in die Hauptstadt, weil sie sich dort ein besseres Leben erwarten. Offiziell hat Teheran zehn Millionen Einwohner, mittlerweile liegt die Zahl der Bewohner des Großraums aber näher bei 20 Millionen.

Dies stellt die Regierung vor große Probleme, sie braucht dringend eine stabile Wirtschaft. Der Konflikt mit dem Westen erschwert die Lage für gemäßigte Elemente: je schlechter es der Bevölkerung geht, desto stärker werden die Konservativen. Viele Iraner sehen diese Entwicklung mit Misstrauen. Sogar ein Kommandant der Revolutionsgarden äußerte mir gegenüber, dass es an der Zeit sei, das Wohlergehen der Bevölkerung über religiöse Belange zu stellen.

derStandard.at: 2003 machten die Iraner den USA ein umfangreiches Friedensangebot, das Außenministerin Condoleezza Rice umgehend abgelehnt haben soll (derStandard.at berichtete). Sehen sie die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz zwischen der Regierung Bush und dem Mullah-Regime?

Ritter: Nein. Die Bush-Regierung hat sich geschworen, einen Regimewechsel herbeizuführen und lehnt es aus diesem Grund auch direkte Verhandlungen mit den Iranern ab. Das Angebot 2003 war eine der bedeutendsten Initiativen in der jüngeren Geschichte. Sie boten an, ihr Verhältnis zum Westen vollständig neu zu definieren. Die US-Regierung will aber keine Schritte setzen, die als Legitimierung des iranischen Regimes gedeutet werden könnten.

derStandard.at: Welchen Einfluss hat Präsident Ahmedinejad auf die iranische Außenpolitik?

Ritter: Die iranische Verfassung besagt, dass er dort nur wenige Mitspracherechte hat. Die Macht liegt beim politischen und geistlichen Oberhaupt des Iran, Ayatollah Ali Khamenei und beim Schlichtungsrat. Deutlich ist dies am Verhandlungsangebot 2003 zu erkennen: dieses wurde nicht vom Präsidenten, sondern von Khamenei unterbreitet.

Viele Äußerungen Ahmedinejads finde ich persönlich abstoßend. Allerdings haben mir Freunde, die persisch sprechen, erklärt, dass diese im Westen oft aus dem Zusammenhang gerissen oder grob vereinfacht präsentiert werden.

derStandard.at: Sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen dem Streit um das iranische Nuklearprogramm und den Vorbereitungen auf den Irak-Krieg im Jahr 2002?

Ritter: Ich erkenne direkte Parallelen: Wie beim letzten Mal können die vorgeschobenen Kriegsgründe nicht durch Fakten untermauert werden. Es wird eine Bedrohung präsentiert, die nur in den Köpfen der Bush-Regierung existiert. Sie können keine Beweise vorlegen, dass der Iran wirklich den Bau von Atomwaffen anstrebt.

Scott Ritter als Waffeninspektor im Irak

derStandard.at: Wäre die US-Öffentlichkeit Ihrer Meinung nach für einen Angriff auf den Iran zu gewinnen?

Ritter: Die Bevölkerung wurde vor keinem dieser Kriege um ihre Meinung gefragt, insofern ist diese irrelevant. Die Bush-Regierung ist der Ansicht, dass sie in Fragen der nationalen Sicherheit durch die Verfassung ermächtigt ist, auch ohne Zustimmung des Kongresses. Der Präsident hat deutlich gesagt, dass er sich nicht um die Zustimmung der Volksvertreter zu einem Angriff bemühen wird. Die Meinung der US-Bürger ist ihm also egal.

Wie auch immer: Viele Amerikaner sind über die Iran-Problematik nicht ausreichend informiert und würden Bushs Propaganda-Behauptungen, dass Teheran eine Bedrohung für die USA darstellt, glauben und würden diese als so groß einschätzen, dass Gegenmaßnahmen erforderlich sind. (derStandard.at, 18.4.2007)