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Choreografie der Stahlarbeiter in Asbestmontur und mit Lanzen. Unter ihnen kniet ihr Erzähler/Erinnerer Shakespeare, der Werksbibliothekar (Gerhard Balluch).

Foto: APA/dpa/Manninger

Graz - Hans (Julian Greis) will auch nach zehn Jahren im Betrieb Stahlarbeiter bleiben, doch man lässt ihn nicht. Die Personalchefin (Susanne Weber) singt ihm das Lied vom Personalabbau. Auf den läppischen Handel einer freiwilligen Kündigung steigt er nicht ein, also wird er gemobbt. Dann trinkt er, dann randaliert er, dann kommt die Fristlose. Zu Hause aber hat sein Liebling Anna (Jaschka Lämmert) schon das Kinderzimmer bestellt, und dann sind da noch die Eigenheimraten.

Peter Turrinis Sozialdrama Die Minderleister hatte zur Entstehungszeit 1987, gleich nach dem Höhepunkt der Verstaatlichtenkrise, die Anwaltschaft ihrer Verlierer übernommen. Und überdauerte in malerischen Metaphern (vom "Siedepunkt" bis zum "Rost der Öfen") den Niedergang der Stahlindustrie.

Bier aufs Haupt

Chronist dieser Arbeitergeschichte ist, auch in der jetzigen "Neufassung" nach zwanzig Jahren, ein Werksbibliothekar mit dem kühnen Namen Shakespeare, der sich den Schmerz seines angehäuften Wissens regelmäßig mit einer Bierflasche aus dem Kopf schlägt. In der Grazer Inszenierung von Alexander Kubelka wankt dieser nunmehr alterslose mitfühlende Herr (Gerhard Balluch) von Szene zu Szene mit, das Bier trieft ihm vom langen Dichterhaar, und er beschwert sich darüber, dass niemand zu ihm lesen kommt! So war es leider schon immer.

Was Turrini nun am Text geändert hat, ist minimal und entspricht weniger einer "Neufassung" als einer leichten Überarbeitung. Und selbst diese Überarbeitung betrifft nur wenige Updates, die genauso gut jeder Regisseur vornehmen hätte können. Vokabel wie "Baracke" wurden gestrichen, und aus "Spanien" wurde "Polen" (EU-Osterweiterung!).

Die neuen Rahmenszenen markieren die Gegenwart von 2007, einen verlassenen Industriebau, in dem nicht mehr hantiert, sondern der bestenfalls kuratiert wird: Hochöfen als Installationsobjekte. An die Stelle der Arbeit tritt heutzutage die Kunst, schreibt Turrini im Programmheft, erzählt dann aber - und das ist die Crux des Abends - doch wieder das historisch verhaftete Arbeiterdrama von einst.

Regisseur Kubelka hilft ihm dabei. Als Kopfgeburten Shakespeares' lässt er die Protagonisten von einst auferstehen: die Stahlarbeiter in Asbestvollmontur, Helden der Arbeiterklasse, die zu Beginn auf beeindruckende Weise zum Hochofenballett aufmarschieren. Mit ihren metallisch schimmernden Mänteln und ihren Schlacken-Lanzen wirken sie dabei wie die Krieger von Mordor aus Der Herr der Ringe (Kostüme: Devi Saha). Nach diesem Auftakt verflacht der Abend zunehmend und fällt in trügerischen Wechseln zurück in die zeitlose Sozialdramenoptik:

In der Werksgarderobe stehen alte Badeschaffeln, in denen die muskulösen Männerkörper Erfrischung suchen. Der Italiener (Daniel Doujenis mit nervend künstlichem Idiom) trällert Marina, quält belustigt einen Kollegen, erzählt einen seiner Pornoplots (er vertreibt Videos), während in den oberen Etagen die Kündigungsgespräche laufen.

In dieser recht überholten Prekariatserforschung nimmt sich die Quizshow für Arbeitsuchende fast modern aus. Mit ihr - sie ist im Originaltext vorhanden - nahm Turrini den exhibitionistischen Talkshow-Wahn früh vorweg: "6 aus 45 - 45 suchen eine Arbeit, aber nur sechs können eine kriegen", so lautet das fatale Spiel, das den zunehmend ungeschützten Arbeitsmarkt versinnbildlicht.

Hans springt in den Hochofen, den Paul Lerchbaumer in die ausgeräumte und traumgleich randlos gehaltene schwarze Bühne versenkt hat. Die pathetische Grabrede Shakespeares hat Turrini zwar ganz gestrichen, und dennoch blieb dieser alles aufnehmen wollende, zu Ende erklären und fertig zeigen wollende Gestus, der diesem Revival geschadet hat. Zurechtgezimmert für alle Geschmäcker. (Margarete Affenzeller/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 4. 2007)