Grafik: Der Standard
Wien - Sie lesen das "Nibelungenlied", Goethes "Faust" und Musils "Mann ohne Eigenschaften". Sie wissen, warum die Vorarlberger die zweite Lautverschiebung nicht mitgemacht haben, und kennen alle Regeln der allerneuesten Rechtschreibreform.

Auf eines muss sich ein angehender Germanistikstudent aber gefasst machen: jede Menge Bücher. 150 literarische Werke stehen etwa auf der Leseliste, dazu 20 bis 30 mittelalterliche Texte, außerdem Sekundärliteratur, weiß Herwig Gottwald, der an der Uni Salzburg Neuere deutsche Literatur lehrt.

Variantenreiche Jobperspektiven

Derzeit graben sich österreichweit 4220 Studierende durch die Bücher. In Graz, Klagenfurt und Salzburg dauert es im Idealfall sechs Semester bis zum Bachelor, in Wien und Innsbruck vier Jahre bis zum Magister - ca. 250 schaffen den Abschluss pro Jahr. Anschließend kommen die ehemaligen Germanistikstudenten in Verlagen, Bibliotheken und im Literatur- und Kulturmanagement unter, aber auch in der Werbung und bei Medien. Bei 86 arbeitslosen deutschen Philologen mit Uni-Abschluss im März, ist die Arbeitsmarktsituation für Germanisten vergleichsweise entspannt.

Eine andere Möglichkeit ist es, Germanistik als Lehramt zu studieren. Markus Gneiss hat diesen Weg gewählt, weil ihn die Herausforderung, in multikulturellen Klassen zu unterrichten, reizt.

"Ich finde es wichtig, dass man den Schülern die Besonderheiten der deutschen Sprache richtig gut erklärt und den höheren Klassen einen Einblick in die Literatur gibt", erzählt der 20-Jährige stolz von seinen Plänen. Vorurteilsfrei gegenüber anderen Nationen zu sein und nicht in der deutschen Sprache "stecken zu bleiben" hält er für besonders wichtige Eigenschaften eines Deutschlehrers.

Wie jeder Lehramtsstudent musste Gneiss ein Zweitfach wählen - für ihn war das Geschichte. Dass er im ersten Studienabschnitt an der Germanistik in Wien außer zwei Vorlesungen nur Lehrveranstaltungen mit Präsenzpflicht hat, findet er stressig: "Germanistik, Geschichte und Pädagogik mit einem Job zu koordinieren würde sich nicht ausgehen."

Die Verschultheit des Studienplans kritisiert auch Oskar Putzer, der an der Uni Innsbruck lehrt. "Die Studenten sind in der Persönlichkeitsentwicklung verzögert, weil sie nicht lernen, eigenverantwortlich etwas zu leisten", legt der Professor seinen Standpunkt klar.

Mit persönlicher Betreuung auch außerhalb der Lehrveranstaltungen können die Studierenden angesichts der niedrigen Studentenzahlen in Klagenfurt rechnen. Nur 54 Studienanfänger entschieden sich hier im vergangenen Wintersemester für ein Germanistikstudium - so wenige wie nirgendwo anders in Österreich.

Für jene, die nach dem Bachelor noch nicht genug haben, bietet die Uni Klagenfurt in Kooperation mit der Uni in Udine das Masterstudium "Germanistik im interkulturellen Kontext" an. Dabei absolvieren die Studierenden je ein Jahr in Österreich und Slowenien und erwerben schließlich einen Doppelabschluss.

Auch in Salzburg freut man sich über zusätzliche Studenten. Hier gab es im Herbst 2006 89 Studienanfänger - Platz gäbe es für 200. Um für die Studierenden attraktiver zu sein, wurden für das Bachelorstudium Fächer wie Filmanalyse, Kulturgeschichte und Cultural Theory eingeführt. Auch Exkursionen sind hier Teil des Studiums. (Conny Sattler/DER STANDARD Printausgabe, 9. Mai 2007)