Widerwärtig, wie Kinderschänder vom britischen Boulevard an den Pranger gestellt wurden. Aber: Wie können Kinder wirkungsvoll vor sexuellem Missbrauch geschützt werden? Es gibt Fragen, die wir gar nicht erst gestellt bekommen möchten. Weil es keine einfache Antwort gibt, oder keine ehrliche. Weil unsere Überzeugung bisweilen in erschreckendem Widerspruch zu unseren Interessen zu stehen scheint. Weil die Frage allein schon beunruhigt. Ein Beispiel, nur für Eltern: Stellen Sie sich vor, Ihr neuer Nachbar ist ein mehrfach verurteilter Kinderschänder. Möchten Sie das wissen? Oder lieber nicht? Oder: Angenommen es gäbe die Möglichkeit, sich darüber zu informieren, ob entlassene Sexualstraftäter in Ihrer Umgebung leben, würden Sie diese ungenutzt lassen? Zugegeben, die Fragen sind nicht fair. Persönliche Betroffenheit und Verunsicherung sind keine guten Ratgeber, schon gar nicht, wenn es um komplexe gesellschaftspolitische Probleme geht. So herrscht also Einigkeit unter allen halbwegs humanistisch-liberal gesinnten Menschen: Hetzerisches Pädophilen-Outen, wie es die britische Boulevardzeitung News of the World unternommen hat (Stichwort: "Lebt ein Monster in Ihrer Nähe?"), ist widerwärtig und verabscheuenswürdig. Die Aktion wurde am Freitag zu Recht gestoppt. Es gibt ein Recht auf Resozialisierung, auf ein menschenwürdiges Leben nach der Strafe. Gemischte Gefühle Und trotzdem: Sobald das Thema Kindesmissbrauch auf dem Tisch ist, ertappen wir uns bei gemischten Gefühlen. Denn wir wissen zwar relativ genau, wie eine aufgeklärte Gesellschaft mit Tätern nicht umgehen sollte. Viel weniger sattelfest sind wir aber bei der Frage, was zum größtmöglichen Schutz der Kinder unternommen werden kann. Sicher ist nur: Noch immer passiert viel zu viel. Und noch immer wird viel zu wenig dagegen unternommen. Deswegen ist es zynisch zu behaupten, all jene Briten, die jetzt im Schmuddelblatt aus dem Hause Murdoch nachblättern, ob jemand in ihrer Umgebung wegen Kindesmissbrauchs registriert ist, seien hysterisch aufgehetzter Mob. Eltern sorgen sich um die Sicherheit ihrer Kinder, das ist ihre zweite Natur. Sie kaufen die besten Autositze, die teuersten Sonnencremen und stabilsten Fahrradhelme. Gegen Sexualverbrechen aber kann man sich nicht anschnallen. Es ist also nicht überraschend, wenn das Outen von Pädophilen immer wieder als rettende Lösung erscheint. In vielen amerikanischen Bundesstaaten unterliegen alle, die einmal wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurden, einem strengen Registrierungszwang. Übersiedeln solche Menschen, werden Schulen, Kirchen und Medien von den Behörden informiert. Immer öfter werden die Daten der Täter auch im Internet veröffentlicht. Dass es dadurch - wie jetzt auch in England - immer wieder zu wütenden Angriffen auf Betroffene kommt, wird dabei in Kauf genommen. Die Ansicht, dass das Recht der Kinder auf Schutz mehr zählt, als das Recht des Täters, nach Verbüßen der Strafe wieder ein normales Leben zu führen, ist in weiten Teilen der amerikanischen Gesellschaft so gut wie unumstritten. In Großbritannien wird nach der Aufregung um die News of the World-Aktion nun das Register aller verurteilten Pädophilen öffentlich zugänglich sein. In Österreich machte die FPÖ bereits mehrmals Vorstöße in diese Richtung. Vergangenes Jahr etwa forderte der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider, das AMS solle über einschlägige Verurteilungen von Bewerbern Bescheid wissen - selbst wenn die Haftstrafe bereits abgebüßt sei. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis - mit dem nächsten dramatischen Fall - auch in Österreich die Emotionen wieder hochgehen und drastische Maßnahmen gefordert werden. Bloß: Das Outen von Tätern ist nicht nur unmenschlich. Es ist auch kontraproduktiv. In Großbritannien waren, seit vor zwei Wochen die ersten Pädophilen am Boulevard angeprangert wurden, viele Betroffene untergetaucht und hatten Kontakte zu Bewährungshelfern oder Therapeuten abgebrochen. Die Polizei fürchtet, so mancher Betroffene könnte aus Wut und Verzweiflung über seine Bloßstellung erst recht wieder zuschlagen. Unhold sitzt im Haus Mit der Jagd auf den bösen unbekannten Mann wird auch von der Tatsache abgelenkt, dass der Unhold meistens im eigenen Haus sitzt. In achtzig Prozent aller Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch gehört der Täter zur Familie oder zu deren engerem Umfeld. Ähnlich sinnlos und gefährlich wie das medienwirksame Bloßstellen von Pädophilen ist aber auch das bloße Einsperren und wieder Freilassen von Sexualstraftätern, wie es in Österreich noch immer viel zu oft praktiziert wird. Noch lange nicht jeder, der wegen sexuellen Kindesmissbrauchs verurteilt wird, landet im Maßnahmenvollzug, wo therapeutische Betreuung und Täterarbeit einigermaßen gewährleistet sind. Über kurz oder lang werden wohl auch Tabus gebrochen werden müssen: Manche Täter brauchen Betreuung durch Therapeuten und Sozialarbeiter weit länger, als ihre Haftstrafe dauert. Aus der Täterarbeit weiß man, dass mitunter allein die Möglichkeit, sich jemandem anzuvertrauen, einen neuerlichen Übergriff verhindern kann. In manchen Fällen wird ein gewisses Maß an Kontrolle notwendig sein. Im Zweifelsfall auch lebenslang. Irene Jancsy ist freie Journalistin in Wien.