"Wir profitieren von den Koalitionsstreitereien", meint Öllinger und bittet die Regierungsparteien um Fortsetzung der Streitigkeiten.

"Ein starkes Stück: alles, was jetzt zum Thema Pflege vereinbart wurde, war auch schon in Konturen im Klasnic-Papier und trägt eindeutig ÖVP-Handschrift, Bartenstein machte die legistische Vorarbeit dazu. Dass gerade er sich jetzt hinstellt und sagt, dass wäre eine "Lex Buchinger", ist eine Frechheit."

"Bei uns pfuscht allerdings jeder dem anderen ins Handwerk. Jedes Ministerium fühlt sich plötzlich für die Pflege zuständig."

"Es ist pervers, aber wenn man in den Medien nicht vorkommt, steigt man in den Umfragen. Insofern könnten wir die Hände in den Schoß legen und den Regierungsparteien sagen: "Streitet euch bitte!" Der grüne Sozialsprecher Karl Öllinger zeigt sich im derStandard.at- Interview optimistisch, was die Zukunft seiner Partei betrifft. Nachwuchshoffnungen gebe es reichlich, eine personelle Ermüdung sieht Öllinger also im Gegensatz zu seinem Partei-Kollegen Christoph Chorherr nicht.

In der Pflegediskussion nimmt Öllinger Sozialminister Buchinger in Schutz: "Die ÖVP versucht gezielt, Buchinger zu dekonstruieren und ihm sukzessive sein Image zu nehmen." Das Pflegepaket trage außerdem eindeutig eine schwarze Handschrift.

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derStandard.at: Wie fühlt man sich momentan in der Opposition?

Öllinger: Gar nicht so schlecht. Ich weiß schon, die Frage hat immer so einen mitleidigen Unterton, nach dem Motto: "Ihr kommts ja gar nicht vor". Es stimmt einerseits, dass uns medial Raum fehlt, der durch den permanenten Konflikt der Regierungsparteien für uns nicht vorhanden ist. Wenn die Regierungsparteien das allerdings als Masche versuchen sollten, weil sie glauben, die Ideen der Opposition dadurch von der Öffentlichkeit fernhalten zu können, dann haben sie sich geschnitten.

derStandard.at: Apropos Streitereien – Gibt’s schon Wetten innerhalb der Grünen, wie lange die Koalition noch hält?

Öllinger: Ich glaube, dass sie versuchen werden, sich irgendwie vier Jahre durchzuschleppen.

derStandard.at: Würden Neuwahlen die Grünen zu diesem Zeitpunkt auf dem falschen Fuß erwischen?

Öllinger: Nein, sicher nicht. Wir profitieren von den Koalitionsstreitereien. Es ist pervers, aber wenn man in den Medien nicht vorkommt, steigt man in den Umfragen. Insofern könnten wir die Hände in den Schoß legen und den Regierungsparteien sagen: "Streitet euch bitte!" Es ist aber natürlich nicht so. Es ist schon auch frustrierend, wenn man seine sachpolitischen Ideen nicht einbringen kann.

derStandard.at: Grüne Themen werden national und international immer mehr auch von nicht-grünen Parteien aufgegriffen, sei es in den USA oder in Österreich. Ist das gut oder schlecht für die Grünen?

Öllinger: Ich empfinde das als gut. Das passiert ja nicht zum ersten Mal. Es hieß schon einmal, als die Grünen 1986 ins Parlament eingezogen sind, sie hätten sich eigentlich als Partei erledigt. Sie könnten nur leben und überleben, wenn sie sich als Bewegung außerhalb des parteipolitischen Spektrums positionieren. Nun gut, jetzt sind 20 Jahre vergangen, und es gibt uns immer noch. Es hat sich zwar umweltpolitisch etwas getan, auch in Österreich, aber noch bei weitem nicht genug.

derStandard.at: Die Grünen drohen also nicht obsolet zu werden?

Öllinger: Mit Sicherheit nicht. Wir haben uns am Anfang vielleicht thematisch stärker eingegrenzt und beackern jetzt breitere Themen, das ist alles.

derStandard.at: Sind Sie traurig dass Peter Pilz und nicht Sie im Eurofighter-Ausschuss sitzen durfte?

Öllinger: Nein, mit Sicherheit nicht. Der Eurofighter-Ausschuss ist nichts für mich. Der Kollege Pilz macht das sehr gut. Ich weiß, wie viel Arbeit mit einem U-Ausschuss verbunden ist, ich habe selber einen machen dürfen.

derStandard.at: Bei den Grünen kann man beobachten, dass immer wieder die „alten Hasen“ an vorderster Front stehen. Gibt es zuwenig junge Nachwuchshoffnungen?

Öllinger: Wir sind gerade dabei, die NeueinsteigerInnen zu positioneren, und das ist schwierig genug. Das brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen, weil auch Journalisten sich natürlich in der Regel an die wenden, die schon bekannt sind.

derStandard.at: Können Sie uns drei junge Grüne nennen, von denen wir in Zukunft mehr hören werden?

Öllinger: Albert Steinhauser, der jetzt als Justizsprecher einsteigt, Birgit Schatz, die den Bereich ArbeitnehmerInnenpolitik übernommen hat und Barbara Zwerschitz, die sich um den Bereich Jugend kümmert.

derStandard.at: Sie sind Sozialsprecher der Grünen. Hat Sozialminister Buchinger bisher in Ihren Augen schon irgendwas richtig gemacht?

Öllinger: Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass ich mich mit Minister Buchinger gut verstehe. Für mich ist er ein Mensch mit Anliegen, die er auch in der Politik umsetzen möchte. Die Koalition in dieser Konstellation lässt ihn aber ziemlich einsam dastehen. Hier wird er aufpassen müssen. Innerhalb der SPÖ darf er zwar einiges sagen, das ist aber mit hohem Risiko verbunden. Die ÖVP versucht gezielt, Buchinger zu dekonstruieren und ihm sukzessive sein Image zu nehmen. Buchinger hat sich dem Koalitionspartner gegenüber immer pakttreu verhalten, der Koalitionspartner ihm gegenüber aber nicht.

Ein starkes Stück ist die Pflegelösung: Alles, was jetzt zum Thema Pflege vereinbart wurde, war auch schon in Konturen im Klasnic-Papier und trägt eindeutig ÖVP-Handschrift, Bartenstein machte die legistische Vorarbeit dazu. Dass gerade er sich jetzt hinstellt und sagt, das wäre eine "Lex Buchinger", ist eine Frechheit.

derStandard.at: Sie halten die 5000-Euro-Grenze bei der Regelung zur 24-Stunden-Betreuung für verfassungswidrig. Was tun Sie dagegen?

Öllinger: Für die Einbringung einer Verfassungsklage bräuchten wir die Unterstützung eines Drittels der Abgeordneten. Leider macht derzeit nicht einmal die versammelte Opposition ein Drittel aus. Außerdem müssen wir erst juristisch genau prüfen, ob Aussicht auf Erfolg besteht.

Die Diskussion um die 5000-Euro-Regelung lenkt aber leider vom Kern des Problems ab. Es gibt eine Bundesregelung und neun völlig unterschiedliche Landesregelungen. Das Wirr-Warr könnte größer nicht sein. Anstatt das Ganze auf Länderebene zu vereinheitlichen und die Bundesregelung so zu adaptieren, dass sie eine sinnvolle Ergänzung dazu ist, gibt es eine endlos quälende Debatte um diese Eurogrenze. Das depremiert.

derStandard.at: Muss man sich von der Vorstellung verabschieden, dass im Krankheits- oder Pflegefall "der Staat" für die Kosten aufkommt?

Öllinger: Die Frage ist natürlich: Was können und was wollen wir über die Allgemeinheit finanzieren. Bei uns pfuscht allerdings jeder dem anderen ins Handwerk. Jedes Ministerium fühlt sich plötzlich für die Pflege zuständig. Und es fällt auch auf, dass wir gerade Steuern wie die Schenkungs- und Erbschaftssteuer abschaffen und gleichzeitig darüber nachdenken, ob man den Menschen nicht das Bisschen an Vermögen, das sie haben, wegnimmt.

derStandard.at: In Deutschland erfolgt eine Grundabsicherung des Pflegerisikos über eine Pflegeversicherung ...

Öllinger: ... von einer Pflegeversicherung halte ich wenig. Zum einen würde das bedeuten, dass die Lohnnebenkosten weiter steigen. Außerdem würde die Generation, die im Erwerbsleben steht, die Last alleine tragen. Jeder und jede sollte nach den eigenen Möglichkeiten einen Beitrag leisten. Da wäre eine Vermögenssteuer oder ähnliches fairer. (Anita Zielina, Manuela Honsig-Erlenburg/derStandard.at, 28.6.2007)