Michael Heiling ist Ausbildungsleiter in der Justizanstalt Gerasdorf.

Foto: derStandard.at/lis

Die Küche zählt zu den beliebtesten Arbeitsplätzen in der Justizanstalt. Elegant serviert ein Insasse Getränke. Gerasdorf ist eine der wenigen Justizanstalten Österreichs, in der die Häftlinge auch für die Beamten das Essen kochen.

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"Herr Hofbauer" hat eine Endstrafe bis 2017. Er hofft auf vorzeitige bedingte Entlassung. Die Lehrabschlussprüfung zum KFZ-Techniker hat er mit Auszeichnung bestanden.

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Die Gärtnerei erwirtschaftet monatlich 1.000 Euro. Gezüchtet wird vor allem für den Eigenbedarf.

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Was er in der Justizanstalt gelernt hat, möchte "Herr Kumulis" nach der Entlassung nutzen.

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Freitag, 12:30 Uhr in der Betriebsküche. Die größte Hektik des Tages ist vorbei. Essen auf Rädern, der Kindergarten und die Hauptschule wurden mit Speisen versorgt. Elegant serviert "Herr Seidl", geschätzte 18, noch eine Runde Getränke. Die Stimmung passt zum Wetter: Sonnig-heiter, Herr Seidl scherzt mit den Gästen. Der junge Mann mit den perfekt gestylten Haaren ist einer von 16 Lehrlingen in der Betriebsküche: Er macht eine Ausbildung zum Koch und Restaurantfachmann. Die Gäste, das sind MitarbeiterInnen der Justizanstalt (JA) für Jugendliche in Gerasdorf.

"Herr Seidl" ist einer von 125 Insassen. Und weil man hier ernährungstechnisch an der Quelle sitzt, zählt die Küche zu den beliebtesten Arbeitsplätzen in der JA. "Wir sind eine der wenigen Strafvollzugsanstalten in Österreich, in der jedem Insassen ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden kann. Laut Gesetz sind Strafgefangene zur Arbeit verpflichtet," erklärt Michael Heiling, Ausbildungsleiter der Justizanstalt.

Die meisten kommen als Hilfsarbeiter

"Die meisten, die zu uns kommen, waren vorher Hilfsarbeiter, haben noch nie gearbeitet oder sind zumindest keiner legalen Tätigkeit nachgegangen", erzählt Heiling. Zum überwiegenden Teil haben die Inhaftierten die Hauptschule abgebrochen. "Draußen" haben sie keine Chance, eine Lehrstelle zu finden. "Viele sind dankbar, dass sie bei uns die Möglichkeit bekommen, eine Lehre zu machen. Hier ist logischerweise das Strafregister kein Kriterium," erzählt Heiling.

Bäcker, Friseur, Gärtner, Spengler oder KFZ-Techniker sind nur fünf der insgesamt 14 Berufe, die in der Justizanstalt Gerasdorf erlernt werden können. "Im Jahr 2007 werden voraussichtlich 17 Insassen eine Lehre abschließen," berichtet Heiling stolz. Gekleidet in Hemd und Jeans führt der Ausbildungsleiter, der zugleich auch Justizwachebeamter ist, durch das weitläufige Gelände. Die meisten Justizwachebeamten arbeiten hier in Zivilkleidung, erklärt er. Das fördere die Vertrauensbasis zu den Inhaftierten. "Herr Heiling, ich wollte mich noch dafür bedanken, dass ich den Gabelstaplerschein machen durfte", sagt ein junger Mann, den wir am Gelände der Justizanstalt treffen. "Ich habe schon gehört, dass Sie es geschafft haben", freut sich Heiling und schüttelt dem Inhaftierten die Hand.

Normal- und Sondervollzug

In der Justizanstalt Gerasdorf sind männliche Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren und junge Erwachsene bis 27 Jahre untergebracht. Die durchschnittliche Haftdauer der Insassen beträgt eineinhalb Jahre. Neben dem "Normalvollzug" wird hier der Sondervollzug für psychische Besonderheiten sowie der Maßnahmenvollzug für geistig abnorme Insassen durchgeführt. Gerasdorf am Steinfeld, das ist eine Katastralgemeinde von St. Egyden am Steinfeld, im niederösterreichischen Bezirk Neunkirchen. Um die 1.800 EinwohnerInnen wurden bei der letzten Volkszählung vermerkt.

Ob die Jungen eine Lehre aufnehmen werden, die Hauptschule besuchen, einen Hilfsarbeiterjob zugeteilt bekommen oder – wie im Fall eines Inhaftierten – sich an einer weiterführende Schule "draußen" weiterbilden, hängt vom Alter, den intellektuellen Fähigkeiten und dem Strafausmaß ab. "Meine Aufgabe ist es, auszuloten, was den Insassen Spaß machen könnte, welche Tätigkeit ihnen liegt", erzählt Heiling. Die JA verfügt über eine integrierte Berufsschule des Bundes. Zwei Berufsschullehrer und ein Hauptschullehrer sind hier beschäftigt, fast alle Leiter der Lehrbetriebe sind zugleich Meister ihres Berufes, Berufsschullehrer und Justizwachebeamter.

Lehre als Prävention

Kurz vor Dienstschluss in der Kfz-Werkstatt. Die letzten Aufräumarbeiten werden erledigt. Da und dort liegt noch das eine oder andere Werkzeug herum. Sonst glänzt es picobello. Die Ausbildung zum KFZ-Techniker zählt zu den gefragtesten der Justizanstalt. Sieben Inhaftierte arbeiten derzeit in der Werkstatt. Zu tun gibt es genug. Die Fahrzeuge des Personals werden hier repariert. Aber auch Aufträge "von draußen" nimmt man zum Stundensatz von 7,80 Euro entgegen. "Eine Gewährleistungsgarantie gibt es bei uns allerdings nicht", lässt Betriebsgruppenleiter Klaus Feyertag wissen. Ein Teil des aus den Dienstleistungen lukrierten Geldes bleibt den Häftlingen. "Wer eine Lehre abschließt, hat gute Chancen, nicht mehr rückfällig zu werden", erzählt Feyertag. Allerdings hätten es seine Schützlinge draußen dennoch nicht leicht. Ehemalige Häftlinge seien eben schwer ins Arbeitsleben zu integrieren. "Gäbe es eine organisierte Betreuung nach der Haftentlassung könnte man die Rückfallquote zusätzlich minimieren", glaubt Feyertag. Trotz der widrigen Umstände weiß Feyertag Erfolgsgeschichten zu berichten. Einer seiner ehemaligen Lehrlinge habe etwa erst kürzlich seine eigene Autowerkstatt eröffnet.

Endstrafe bis 2017

"Herr Hofbauer", einer der Mechaniker, hat, wie er stolz erklärt, soeben die Lehrabschlussprüfung zum KFZ-Techniker mit Auszeichnung bestanden hat. Mit einem strahlenden Lächeln und selbstbewusstem Händedruck begrüßt uns der große gewachsene Mann. "Draußen" hatte er bis zur vierten Klasse eine HTL für Elektrotechnik besucht - seit viereinhalb Jahren ist er inhaftiert. Bis 2017 muss er noch hier bleiben, so es nicht zu einer vorzeitigen "bedingten Endlassung" kommt. "Herr Hofbauer hat da gute Chancen. Schwierig ist die bedingte Entlassung bei Drogen- und Sexualdelikten", erzählt Heiling.

Mehr Zeit für die Ausbildung

"Herinnen bekommt man eine bessere Ausbildung, weil man mehr Zeit hat. Es macht nichts, wenn man für die Arbeit einmal länger braucht", lobt Hofbauer die Lehrlingsausbildung in der Justizanstalt. Gearbeitet wird Montags bis Freitags von halb acht bis halb vier. "Um sechs Uhr werden wir geweckt, dann machen wir den Haftraum sauber und bekommen das Frühstück und bei Bedarf Medikamente. Um halb acht bin ich dann in der Werkstatt, zu Mittag und um 18 Uhr gibt's wieder Essen", berichtet er von seinem Haftalltag. Und tatsächlich – wäre das kein Gefängnis, könnte man meinen, man habe das Freizeitangebot eines besseren all- inclusive clubs vor sich: "Dart, Fußball, Volleyball, Breakdance, Beachvolleyball und Muskeltraining" können in der JA unter anderem betrieben werden. Zu vermitteln, wie man seine Freizeit sinnvoll gestalten kann, ist wesentlicher Bestandteil des Jugendstrafvollzuges. Hier, weit abgeschieden von der Großstadt, mit einem relativ großen Freizeitareal, herrschen gute Voraussetzungen für die vielfältige Freizeitgestaltung. "Es ist falsch, inhaftierte Jugendliche mitten in die Großstadt zu verpflanzen. Sie müssen raus in die Natur in ein gesundes Umfeld, nicht dorthin, wo die 'Freunde' schon über die Mauer schauen." Kino- und Museumsbesuche oder Wanderungen sollen zudem Inhaftierte nach Verbüßung einer längeren Haftstrafe an das Leben außerhalb der Justizanstalt gewöhnen.

Ob ihm oft langweilig ist? "Nein, am Wochenende lerne ich oder ich betätige mich in den Freizeitgruppen. So viel Zeit habe ich auch nicht", erzählt Hofbauer. Die Zeit im Bild ist für ihn Standard- Programm. "Es ist wichtig, sich über die Geschehnisse zu informieren, ich bekomme vieles ja sonst nicht mit". Was er machen möchte, wenn er entlassen wird? "Soweit im Voraus zu planen, ist schwer", sagt Hofbauer. In der Justizanstalt möchte er sich gerne noch weiterbilden, derzeit liebäugelt er mit einer Lehre für Karosseriebautechnik.

Unangenehm berührt...

Die Gewächshäuser und kleinen Felder der Gärtnerei lassen vermutlich so manches Gärtnerherz höher schlagen. Sichtlich liebevoll gepflegt gedeihen hier Sommerblumen, Grünpflanzen und Gemüse. 1.000 Euro pro Monat werden in der Anstaltsgärtnerei erwirtschaftet, "produziert" wird für den Eigengebrauch und für andere Justizanstalten. Vor allem besonders junge Burschen sind hier anzutreffen. Von unserem Besuch sind sie scheinbar unangenehm berührt. Den Blick fest zu Boden gesenkt, machen sie noch letzte Aufräumarbeiten. Bald ist auch hier Dienstschluss – dann können die Burschen das Wochenende antreten. Aus dem Gebäude gegenüber dröhnt Hip-Hop-Musik. "Die Jugend hat es gerne laut", scherzt Heiling. Insgesamt neun Inhaftierte, davon vier Lehrlinge kümmern sich um die Blumen und das Gemüse der Justizanstalt.

Maniküre und Schönheitspflege

Weiter geht es zum Friseursalon. Werbeplakate zieren die in apricot gehaltenen Wände. Modzeitschriften, schick gestylte Puppenköpfe, Grünpflanzen – hier ist alles vorhanden, was einen klassischen Friseursalon ausmacht. "Heute waren sie brav beim Putzen. Sie durften ein bisschen früher gehen", erzählt Doris Krenseis. Seit fünf Jahren bildet sie in der Justizanstalt Friseure und Perückenmacher aus. "Ich bin für meine fünf Lehrlinge eine wichtige Bezugsperson. Wenn sie Probleme haben, sprechen sie sich oft bei mir aus". Krenseis ist die einzige Betriebsleiterin der JA, die nicht zugleich auch Justizwachebeamtin ist. Zufällig sei sie auf die Stellenanzeige gestoßen. Damals, als sie sich bewarb, hatte sie Lust, einmal etwas anderes zu machen. Ihren Job beschreibt sie als "spannend, vielseitig und manchmal auch anstrengend." Ihr Team kümmert sich um den optischen Auftritt der Beamten und Insassen in Gerasdorf. Auch Insassen und Insassinnen in anderen Gefängnissen können die Dienstleistungen in Anspruch nehmen: "Wir machen alles, auch Maniküre und Schönheitspflege".

Ziel: Meisterprüfung

"Herr Kumulis" ist seit drei Jahren und drei Monaten inhaftiert. Der 25-Jährige ist wie fast alle Insassen der Justizanstalt in einem Einzelhaftraum untergebracht. Seinen Haftraum hat er perfekt aufgeräumt. Ein kleiner Fernseher, Zimmerpflanzen und Poster sind hier zu entdecken. Beachtenswert auch seine Sammlung an Pflegeprodukten: Shampoo und Duschgel in vielen Variationen, Bodylotions, Zahnweißer und Handcreme. Herr Kumulis legt offenbar viel Wert auf sein Äußeres. In der Justizanstalt hat er bereits seine zweite Lehre begonnen. Sein nächstes großes Ziel ist die Meisterprüfung im Maler- und Anstreichergewerbe. "Wenn ich draußen bin, möchte ich das, was ich hier gelernt habe, nutzen. Wenn ich nicht hier wäre, hätte ich nie eine Lehre gemacht. Draußen war ich eher in Partylaune", erzählt Kumulis. Voraussichtlich wird er 2009, vier Jahre vor der Endstrafe, entlassen. Die Haftbedingungen in Gerasdorf lobt er: "Ich war vorher 18 Monate im Landesgericht, das ist ein riesiger Unterschied".

Gefahr und Abgrenzung

Ob sein Beruf gefährlich ist? "Natürlich ist der Job gefährlich. Zwölf Prozent der Inhaftierten sind Mörder und alle männlichen Jugendlichen, die ein schweres Delikt begangen haben, kommen zu uns. Wir nehmen die Gefährlichkeit raus, indem wir viel mit den Insassen kommunizieren, sie wie Menschen behandeln, auf sie eingehen und ihnen die Therapien angedeihen lassen, die sie brauchen", schildert Heiling. In den letzten zehn Jahren habe man 30 Prozent der Justizwachebeamten verloren. "Der Betrieb funktioniert nur deshalb, weil die Kollegen so professionell arbeiten", sagt Heiling.

"Im Laufe der Jahre erfährt man natürlich, was die Leute getan haben", erzählt Heiling über seinen Umgang mit straffällig gewordenen Jugendlichen. Kommt ein neuer Häftling in die Justizanstalt, informiert er sich lediglich, unter welchen Paragraphen das begangene Delikt fällt. "Näher lasse ich mich bewusst nicht darauf ein. Dafür sind Psychologen und Sozialarbeiter da. Es gibt gewisse Delikte, mit denen vermutlich jeder von uns ein Problem hätte. Wenn ich jedes Detail weiß, kann ich mich nicht mehr objektiv und unvoreingenommen mit dem Insassen unterhalten." Natürlich würde man im Laufe der Jahre erfahren, was die Leute getan haben. So habe etwa "Herr Haufbauer" ein besonders abscheuliches Delikt begangen. "Hätte ich das am Anfang gewusst, hätte ich ein anderes Verhältnis zu ihm gehabt. Ich schätze ihn nun aber als den Menschen, so wie er sich in Haft verhalten hat, und für das was er hier geleistet hat." (Katrin Burgstaller/ derStandard.at, Juli 2007)