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Aufenthaltsverbote für vorbestrafte Ausländer sind die Regel. Jeder Fall muss aber geprüft werden, haben die Verfassungsrichter klar gestellt.

Fotos: rubra, Getty Images/Bildbearbeitung: Beigelbeck
In einer dem STANDARD vorliegenden, Aufsehen erregenden Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof das Aufenthaltsverbot gegen einen Polen aufgehoben - obwohl dieser wegen Raubs vier Jahre im Gefängnis saß. Die Ausweisung hätte sein Familienleben zerstört.

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Wien - Kriminell gewordene Ausländer müssen Österreich verlassen, in dieser Forderung sind sich Boulevard und beträchtliche Teile der Bevölkerung einig. In die entgegengesetzte Richtung geht eine neue Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), die dem Standard vorliegt.

Die Höchstrichter haben das zehnjährige Aufenthaltsverbot gegen einen 32-jährigen Polen, der wegen Raubes zu vier Jahren Haft verurteilt worden ist, gekippt. Der Mann, der seit seinem vierten Lebensjahr in Österreich lebt, dessen Mutter, Schwester und Bruder inzwischen die österreichische Staatsbürgerschaft haben, dürfe nicht einfach nach Polen geschickt werden - in ein Land, dessen Sprache er zwar versteht, sie aber nicht richtig sprechen und schreiben kann.

Wahrung des Familienlebens

Davor müsse genauer als bisher geprüft werden, ob eine Zwangsausreise nicht gegen dessen Recht des Klägers auf Wahrung des Familienlebens verstoßen würde, wie es Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert: ein Grundrechtsparagraf, der von den heimischen Ausländerbehörden laut Menschenrechtsbeirat nicht ausreichend berücksichtigt wird (siehe Geschichte rechts). Die Verfassungsrichter wiesen die Entscheidung an den Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) Niederösterreich zurück und sprachen dem Polen sämtliche Prozesskosten zu.

Erfreut reagiert Robert Steinacher, Kremser Anwalt des Klägers, auf die VfGH-Entscheidung: "Mit einem solchen Spruch habe ich nicht gerechnet", gibt er zu. Seinen Mandanten hat er als Verfahrenshelfer kennen gelernt - im Gefängnis, wo dieser seine Strafe absaß. Steinacher schildert einen "relativ solid wirkenden jungen Mann", der "in die Drogenszene und von dort aus in die Beschaffungkriminalität geschlittert" sei.

"Ein Gestrauchelter"

Davor habe der 1975 Geborene regulär Volksschule, Gymnasium und Matura absolviert, eine Computerfachschule besucht - und anschließend in der Computerbranche als Projektleiter gearbeitet. Dann sei der Absturz gekommen. "Mein Mandant ist sicher ein Gestrauchelter. Doch wenn er nach Polen müsste, so käme er in ein für ihn völlig fremdes Land".

"Solche Härten werden durch diesen Spruch generell erschwert", kommentiert dies die Wiener Rechtsanwältin und Obfrau der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch, Nadja Lorenz. Die VfGH-Entscheidung, die sich "an europäisches Recht" halte, habe auch für Fälle wie jenen der 16-jährigen Ana Marija Cvitic, die seit 14 Jahren in Österreich lebt, und gegen die jetzt ein Ausweiseverfahren läuft (der Standard berichtete), Relevanz. Vor allem aber werde durch den Spruch die Entwurzelung krimineller Einwandererkinder der zweiten und dritten Generation erschwert. Die Möglichkeit, diese Jugendlichen auszuweisen, auch wenn sie ihr Lebtag in Österreich verbracht haben, besteht seit Inkrafttreten des Fremdenpakets vor eineinhalb Jahren. (Irene Brickner/DER STANDARD-Printausgabe, 10.7.2007)