Der Operettenillusion entkleidet: der kulturelle Brückenschlag der Begegnung Europa-China bei Lehár.

Foto: M. Rittershaus
Auch wenn der mittlerweile in Deutschland kaum noch umstrittene, sensible deutsche Starregisseur sich in Franz Lehárs Land des Lächelns auf eine Entdeckungsreise zu den Subtexten und dem Ernsthaften im Leichten begibt. Was er da zutage fördert, das macht seine Arbeiten noch immer zu einem Abenteuer für den Kopf. Und fürs Gefühl. Wie immer in seinen letzten Inszenierungen spürt er dabei natürlich jedes ironische, witzige Detail auf, um dann den Bogen zu einer verbindlichen Aussage zu finden, auf die er nicht verzichten will.

Die Sorgfalt, das Einfühlungsvermögen und den Ernst, mit denen Kirill Petrenko bei seiner letzten Produktion als GMD an der Behrenstraße das Niveau unter Beweis stellt, auf das er das Orchester gebracht hat, das findet sich auch auf der Szene. Denn Konwitschny nimmt die Operette ernst. Sogar toternst, denn er bricht dem Happyend, mit dem der chinesische Fürst seine Lisa (hochpräsent: Tatjana Gazdik) und ihren Grafen Gustl (dem Wiener Charme dicht auf den Fersen: Tom Erik Lie) wieder ziehen lässt, im wahrsten Sinne des Wortes das Genick. Der Prinz lässt die beiden Europäer am Ende nämlich nur zum Schein ziehen. Auf sein Zeichen hin verrichten seine Schergen im blauen Mao-Look ihr mörderisches Handwerk.

China der Patriarchen

Doch auch wenn diesmal sogar Hitler und Stalin unter den illustren Staatsgästen sind, die während der vollständig mit aufgeführten Ballettmusik auftauchen und gemeinsam mit Napoleon, Cäsar, Barbarossa, Idi Amin, Bush und einem Neandertaler eine Art Geschichte des Krieges aufführen, und auch wenn dieses China eine geschlossene Gesellschaft mit Orwell-Dimensionen im maoistischen Stil ist, der Skandal, den Konwitschny in Dresden vor acht Jahren mit seiner Csárdásfürstin auslöste, wiederholt sich in Berlin (natürlich) nicht.

Im Ganzen schlagen sich Konwitschny und sein Team (Bühne: Jörg Koßdorff, Kostüme: Michaela Mayer-Michanay) vor allem auf die Seite Lehárs: Von seinem lustvoll spielerischen k.u.k. Wien mit gemalter Theater- und Ballkulisse, mit Prater-Riesenrad, Schönbrunn und Stephansdom über den Sprung in die palastartige Wucht eines beängstigend modernen China im festen Griff der Patriarchen bis in das jeder Kulisse, Perücke und jeder Illusion entkleidete Desaster dieses Brückenschlages der Kulturen. Und das nicht nur, weil er ihn vollständig spielen lässt, sondern weil er sein an diesem Haus 1929 uraufgeführtes Land des Lächelns ernst nimmt. Das Protagonistenensemble erreicht zwar nicht ganz das Niveau, das Petrenko vorgibt, aber besteht als Ensemble.

Mit dieser Abschlussproduktion ist jedenfalls Andreas Homokis Konzept aufgegangen, sein Haus vor allem mit prägnanten Regiehandschriften als Ensembletheater im Überlebenskampf der Berliner Opernhäuser in Stellung zu bringen. Ansonsten freilich machen die Berliner Opernhäuser vor allem mit ungelösten Finanzproblemen, ihrem führenden Personal oder der Programmpolitik von sich reden. Am erkennbarsten kränkelt die Deutsche Oper. Der glücklos agierenden Intendantin Kirsten Harms fehlt nicht nur eine erkennbare und mitreißende Linie, sondern auch ein großer Coup. Thielemanns Nachfolger Palumbo hat sich noch nicht wirklich einen Namen gemacht. Auch die gelungene Wiederbelebung der Zemlinsky-Oper Der Traumgörge in der Regie von Joachim Schlömer ändert daran nicht allzu viel.

Nebenan, Unter den Linden, ist der Staatsopernglamour schon lange mehr Schein als Sein. Doch Intendant Peter Mussbach kann immerhin noch auf den großen Namen Barenboim setzen. Und dann funkelt es immer mal wieder. So, als sich Philippe Jordan ohne jede Maestro-Attitüde mit Barenboims Staatskapelle Mozarts Titus anverwandelte. Neben einem zuverlässigen Roberto Saccà als Kaiser und einer furiosen Melanie Diener als Vitellia wurde dabei vor allem Elina Garanèas Sesto zu einem musikalischen Ereignis, das nach ihren beiden großen Arien mit Ovationen bedacht wurde. (Joachim Lange, DER STANDARD/Printausgabe, 10.07.2007)