Anne Teresa De Keersmaeker in der Stille der kargen Bühne ihres Choreografen Vincent Dunoyer.

Foto: Devriendt

Wien - Der erste Paukenschlag bei ImPulsTanz ist dem aus Frankreich stammenden Choreografen Vincent Dunoyer gelungen. Die Uraufführung seines jüngsten Werks Sister mit Anne Teresa De Keersmaeker als Tänzerin im Wiener Volkstheater ließ das Publikum den Atem anhalten.

Keersmaeker, die vor einigen Jahren beschlossen hat, ihre Traumkarriere als Choreografin durch eine Rückkehr auf die Bühne zu vergolden, erlebt hier als Bühnenfigur einen unerwarteten Höhepunkt. Sister war als Hommage an die berühmte Künstlerin und ihre Company Rosas gedacht, doch herausgekommen ist wesentlich mehr.

Dunoyer, dessen Princess Project (2001) zum Besten zählt, das der - bisher zu wenig beachtete - poetische Konzeptualismus im Tanz hervorgebracht hat, erarbeitete gemeinsam mit Rosas-Tänzern aus mehreren Generationen ein Solo, das er Keersmaeker zur endgültigen Ausformulierung überließ. In einem ersten Teil der etwa einstündigen Arbeit führt der 45-jährige einstige Rosas-Star selbst Reflexionen über deren Tanzvokabular vor. Danach tritt die Choreografin selbst auf und schlägt die Zuschauer für gute 15 Minuten allein und ohne Musik in ihren Bann.

Ihr Solo besteht aus Zitaten und deren Transformationen, die nicht in den spektakulären Effekten ihres Bewegungsrepertoires, sondern in den grammatikalischen Verbindungsgeflechten dieser gestischen Metasprache verankert sind. Mit gelassenen Formulierungen tanzt sie in einem kalten, klaren Licht, leistet sich Schwächen, auch die Entscheidung, ins Publikum hineinzureden. "Ich kann mich nicht mehr erinnern", sagt sie, bevor sie dazu übergeht, sich zu Schuberts von Grillparzer getextetem Ständchen Zögernd leise zu bewegen.

Gestützt wird die Struktur durch wohlkalkulierte Videozuspielungen auf eine Leinwand, die auch als Lichtobjekt dient. Dunoyer zeichnet nicht nur für das choreografische Konzept, sondern auch für die ausgesucht kluge Szenografie verantwortlich. Sister ist eine atmosphärisch verdichtete, minimalistische Arbeit, in der jede Setzung gelingt.

Keersmaeker schafft es, den Eindruck einer Selbstinszenierung zu vermeiden und macht die Radikalität der Form, die ihre eigenen Werke - bis auf ihr frühes Masterpiece Fase - vermissen lassen, mit. Indem sie es, abgesehen von wenigen Ausreißern, zustande bringt, ihre eigene Autorität hintanzustellen und sich den Qualitäten einer anderen künstlerischen Strategie zu fügen, bricht sie mit dem Geniekult, der gerne um sie getrieben wird. Diese Größe ist bemerkenswert. (Helmut Ploebst/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. 7. 2007)