Ohne Staub geht's auch! Intendant, Aristophanes-Aficionado Piero Bordin.

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Petronell/Carnuntum – In Carnuntum gehört noch zusammen, was immer schon beisammen war: Theater und Wein. Beides hilft (in verträglicher Dosis), die Sicht zu erweitern. Ein ideales und noch dazu klassisch-altertümlich verbrieftes Duo, das Piero Bordin Sommer für Sommer in dem, in die pannonische Weite des einstigen Römerlagers geschmiegten, Amphitheater zusammenzuführen weiß: beim Festival Art Carnuntum.

Der in Wien geborene, aber nahe Athen an der Marathonstrecke aufgewachsene leidenschaftliche Intendant interessiert sich und sein Publikum für die Ursprünge des europäischen Theaters. Und räumt im Gespräch mit zwei festgefahrenen Vorurteilen auf: 1.) Alt 2.) Fad. – "Stimmt nicht!" Das Image des Alten beruht auf falschen Vorstellungen, denn, so Bordin: "Es handelt sind hier um Werte, die durch die Zeiten hindurch lebendig geblieben sind. Theater und die Demokratie haben sie miterfunden. Beides konnte damals nur miteinander entstehen. Man könnte also wagemutig behaupten: Kein Theater ohne Demokratie und keine Demokratie ohne Theater!"

Stimmt nicht!

Bordin spricht deshalb auch lieber vom "Theater des Ursprungs" als vom "Theater der Antike". Man muss das Bild des hermetisch Vergangenen ja nicht noch fördern. Das Vorurteil des Faden hängt für Bordin mit dem Irrglauben zusammen, das Theater des Altertums bestünde nur aus Tragödien. Tragödien, in welchen der Mensch vorgeführt bekommt, dass das Schicksal gottgewollt ist und nichts anderes gilt, als dieses zu erleiden. "Stimmt nicht! Überhaupt nichts müssen wir erleiden. Wir können unser Schicksal selbst in die Hand nehmen, das zeigen die Komödien des Aristophanes. Ohne sie hätte es keine Commedia dell'arte gegeben. Aristophanes' Helden sind keine Götter oder Könige, sondern Durchschnittsmenschen, Weinbauern und Hausfrauen."

Die Stimme der Hausfrau ergreift als Preview zur ersten Premiere des heurigen Festivals am kommenden Samstag der Berliner Schauspielstar Miriam Goldschmidt. Sie liest aus der angriffslustigen Weibervolksversammlung den Part der Anführerin Praxagora (21 Uhr). Als gesamte Inszenierung ist die Aristophanes-Komödie in einer Adaption des berühmten Piccolo Teatro aus Mailand eine Woche später zu sehen (auf Italienisch: Donne in Parlamento, 28. 7.).

Der durch und durch vom Theater als schönste Kunst der Mitteilung beseelte Piero Bordin, selbst mehrfacher Aristophanes-Übersetzer, stellt die politische Dimension seiner gewählten Stücke nicht hintan. In Donne in Parlamento wird erstmals überhaupt der Kommunismus und sein Scheitern theoretisch durchgespielt: Die Frauen, die in der athenischen Realität von der Politik ausgeschlossen blieben (und bei den Dionysien übrigens die hintersten Ränge zugewiesen bekamen), erheben sich in diesem Stück zu Parlamentarierinnen, die eine besitzlose Gesellschaft proklamieren.

Herrliche Ansage, findet Bordin, gerade wenn man bedenkt, dass die Massenveranstaltung der Dionysien mit bis zu 17.000 Zusehern und -hörern die "Breaking News" der Antike waren. Und er zitiert einen seiner vielen "internationalen Freunde", den britischen Theaterfachmann Sir Peter Hall, der die Gigantomanie der antiken Festspiele auf den Punkt brachte: "Urbi et orbi – plus das Endspiel in Wembley." "Es war das Massenmedium dieser Tage", so Bordin weiter, "und man konnte – eine Auszeichnung der damaligen Demokratie – den Herrscher so angreifen, wie nie mehr danach, und auch heutzutage kaum noch üblich."

Im griechischen Epidauros, neben Merida (Spanien) und Syracus (Italien) das größte antike Theaterfestival im mediterranen Raum, hat Aristophanes, und das freut Bordin, "erfreulicherweise mehr Publikum als alle Tragöden zusammen".

Von Anfang an hat sich Carnuntum im internationalen Netz der Antikenfestivals durch die Zusammenarbeit mit Weltgrößen wie Bob Wilson, Tony Harrison, Peter Stein, Heiner Müller, Ellen Stewart (La MaMa) oder Tadashi Suzuki vom Dunst altertümlicher Aufführungspraxis befreit. Heuer gehört die Ödipus loves you-Produktion der irischen Performancegruppe Pan Pan mit zum Spannendsten. "Ich sage Ihnen, es ist nicht leicht, Gutes zu finden."

Liturgischer Akt

Bordin sieht seine Aufgabe darin, das im heutigen institutionalisierten Guckkastentheater ins Hintertreffen geratene, gemeinschaftliche Erleben zu fördern. "Das Zusammenkommen fehlt den Menschen!" Dabei bleibt er über jeden gefühlsduseligen Verdacht erhaben. Der ursprünglich kultische Charakter der genuin als Festspieltheater zu bezeichnenden antiken Form hat große Berechtigung. Je weniger Religion umso mehr Theater? "Ja, das spirituelle Erleben liegt hier begründet. Es war ja ursprünglich ein liturgischer Akt." (Margarete Affenzeller / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.7.2007)