Es ist aber zu vermuten, dass der Applaus-Quickie, bei Onegin nur durch ein Buh unterbrochen, vorwiegend damit zusammenhängt, dass - wie bei Haydns Armida in der Felsenreitschule - in den zentralen Punkten letztlich ohne extreme, subjektive Fantasieentfaltung an die lyrischen Tschaikowsky-Szenen herangegangen wurde. Statt Schrecken des Neuen mehrfach wohlige Vertrautheit. Wer etwa einst Martin Kusejs Salzburger Don Giovanni gesehen hat, freute sich über ein Wiedersehen mit einer Drehbühnenästhetik, die schon damals für ein - ob der technischen Probleme - nicht immer knirschfreies, aber letztlich doch wunderbares szenisches Fließen gesorgt hat. Auch das ist irgendwie Fortschritt: Da man offenbar technisch weiser geworden ist, wird die Geschichte nun ohne Lärm und Bewegungsunterbrechung elegant bedient; und es mutet dieses Ambiente wie ein sich vor dem Betrachter drehendes Museum der sehr präzise und detailverliebt eingerichteten Szenen von enttäuschter Hoffnung und falscher Entscheidung an.
Regisseurin Andrea Breth und Bühnenbildner Martin Zehetgruber (einst auch bei Kusej tätig) haben das große Festspielhaus also im Griff. Hohe Holzwände und karge, bis nicht vorhandene Innenausstattung zeugen von Trostlosigkeit wie von politischem Wandel und dem großen zweiten Krieg. Weggefegt ist hier jeglicher Prunk, es wuchert das Getreide in den Zimmern des Larin-Gutes. Und wenn das Volk sein Liedchen anstimmt, tanzt die Hausherrin mit den Kindern. Und nicht umgekehrt.
Wo so viel Leere und Statusverlust sind, ist indes Raum für Erinnerung. Ungebrochen blühen auch die juvenilen Flucht- und Liebesfantasien der kleinen Tatjana (Anna Samuil überzeugt nur im Dramatischen, wo eine gewisse Schrillheit nicht sonderlich ins Gewicht fällt), die es sich in einer Welt der Bücher gemütlich gemacht hat. Bis eben jener kommt, der als Besucher von einem urbanen Planeten mit allerlei Sehnsuchstprojektionen überschüttet wird.
Hohles Machogefäß
Dieser Onegin (vokal grandios Peter Mattei) ist zunächst eine recht platte Figur. In dem Stil eines Sonnenbrillen tragenden quasi pubertären Zuhälters weist er Tatjana ab. Ein hohles Machogefäß. Eine Karikatur. In diese Seele hat Breth nicht sehr tief hineingeblickt. Und wenn man schon dabei ist: Auch jene finalen, dem Duell vorausgehenden tränenreichen Dialoge zwischen Onegin und Ex-Freund Lenski (intensiv und klangschön Joseph Kaiser) sind von auffällig süßlicher Konventionalität. Erstaunlich für Breth.
Erstaunlich aber dann ebenso, wie sie Milieu und Randfiguren zeichnet, wie sie das Fest zu einem Bild der existenziellen Verwahrlosung, zu einem alkoholgedopten, geil-brutalen Exzess verdichtet und die Drehbühne zur virtuosen Vermittlung vieler kleiner präziser (Seiten-)Szenen nutzt.
Dass Onegins Geschichte in Apathie und Einsamkeit enden wird, dass ihn die letztlich mit Gremin (ungeheuer präsent Ferruccio Furlanetto) vermählte Tatjana schließlich doch abweisen wird, das ahnt man schon zu Beginn. Bereits während der Ouvertüre sitzt da eine starre Figur mit dem Rücken zur Bühne - nur ein Schwarzweißfernseher und eine umgefallene Lampe umgeben sie, die mit allem fertig zu sein scheint. Eine gruselig triste Szene der abgestorbenen Emotionen, die mehrfach wiederkehrt.