Bild nicht mehr verfügbar.

Es waren zwei Menschenkinder, die hatten einander sehr lieb. Sie konnten nicht zueinander, das Getreidemeer war zu tief: Eugen Onegin als sonnenbrillenbewährter Macho (Peter Mattei) und Bücherwurm Tatjana (Anna Samuil).

Foto: APA
Salzburg - Durchaus frisch hallen noch jene Bayreuther Zornesausbrüche gegen Katharina Wagners fröhlich-provokanten Meistersinger -Entwurf nach; und, ihrer bewusst, wird natürlich der Vergleich mit den aktuellen Salzburger Reaktionen unvermeidlich, führt er ja auch zu Erhellendem. Schließlich: Auch nach der zweiten Opernpremiere blieb in Salzburg alles in der sehr freundlichen Tonart. Und signifikant kurz. Wo man sich in Bayreuth Richtung Heiserkeit entgegenbuhte, war man in Salzburg schon längst über alle Treppenberge. Sicher. Es locken da viele Empfänge, Sponsoren laden ein, und Fotografen soll man nicht warten lassen. Außerdem begann Peter Iljitsch Tschaikowskys Oper Eugen Onegin eine Stunde später als angesagt. Der ORF übertrug.

Es ist aber zu vermuten, dass der Applaus-Quickie, bei Onegin nur durch ein Buh unterbrochen, vorwiegend damit zusammenhängt, dass - wie bei Haydns Armida in der Felsenreitschule - in den zentralen Punkten letztlich ohne extreme, subjektive Fantasieentfaltung an die lyrischen Tschaikowsky-Szenen herangegangen wurde. Statt Schrecken des Neuen mehrfach wohlige Vertrautheit. Wer etwa einst Martin Kusejs Salzburger Don Giovanni gesehen hat, freute sich über ein Wiedersehen mit einer Drehbühnenästhetik, die schon damals für ein - ob der technischen Probleme - nicht immer knirschfreies, aber letztlich doch wunderbares szenisches Fließen gesorgt hat. Auch das ist irgendwie Fortschritt: Da man offenbar technisch weiser geworden ist, wird die Geschichte nun ohne Lärm und Bewegungsunterbrechung elegant bedient; und es mutet dieses Ambiente wie ein sich vor dem Betrachter drehendes Museum der sehr präzise und detailverliebt eingerichteten Szenen von enttäuschter Hoffnung und falscher Entscheidung an.

Regisseurin Andrea Breth und Bühnenbildner Martin Zehetgruber (einst auch bei Kusej tätig) haben das große Festspielhaus also im Griff. Hohe Holzwände und karge, bis nicht vorhandene Innenausstattung zeugen von Trostlosigkeit wie von politischem Wandel und dem großen zweiten Krieg. Weggefegt ist hier jeglicher Prunk, es wuchert das Getreide in den Zimmern des Larin-Gutes. Und wenn das Volk sein Liedchen anstimmt, tanzt die Hausherrin mit den Kindern. Und nicht umgekehrt.

Wo so viel Leere und Statusverlust sind, ist indes Raum für Erinnerung. Ungebrochen blühen auch die juvenilen Flucht- und Liebesfantasien der kleinen Tatjana (Anna Samuil überzeugt nur im Dramatischen, wo eine gewisse Schrillheit nicht sonderlich ins Gewicht fällt), die es sich in einer Welt der Bücher gemütlich gemacht hat. Bis eben jener kommt, der als Besucher von einem urbanen Planeten mit allerlei Sehnsuchstprojektionen überschüttet wird.

Hohles Machogefäß

Dieser Onegin (vokal grandios Peter Mattei) ist zunächst eine recht platte Figur. In dem Stil eines Sonnenbrillen tragenden quasi pubertären Zuhälters weist er Tatjana ab. Ein hohles Machogefäß. Eine Karikatur. In diese Seele hat Breth nicht sehr tief hineingeblickt. Und wenn man schon dabei ist: Auch jene finalen, dem Duell vorausgehenden tränenreichen Dialoge zwischen Onegin und Ex-Freund Lenski (intensiv und klangschön Joseph Kaiser) sind von auffällig süßlicher Konventionalität. Erstaunlich für Breth.

Erstaunlich aber dann ebenso, wie sie Milieu und Randfiguren zeichnet, wie sie das Fest zu einem Bild der existenziellen Verwahrlosung, zu einem alkoholgedopten, geil-brutalen Exzess verdichtet und die Drehbühne zur virtuosen Vermittlung vieler kleiner präziser (Seiten-)Szenen nutzt.

Dass Onegins Geschichte in Apathie und Einsamkeit enden wird, dass ihn die letztlich mit Gremin (ungeheuer präsent Ferruccio Furlanetto) vermählte Tatjana schließlich doch abweisen wird, das ahnt man schon zu Beginn. Bereits während der Ouvertüre sitzt da eine starre Figur mit dem Rücken zur Bühne - nur ein Schwarzweißfernseher und eine umgefallene Lampe umgeben sie, die mit allem fertig zu sein scheint. Eine gruselig triste Szene der abgestorbenen Emotionen, die mehrfach wiederkehrt.

Es ist klar, dass Dirigent Daniel Barenboim hierzu nicht meinungslos in romantischer Schmachtpose verweilen kann. Als überzeugter Kontrastkünstler, der interpretatorische Substanz auch als Folge eines Ausdruckswechselbades versteht, lässt er die Philharmoniker bisweilen einen filigranen, sehnsuchtsvollen Ton anschlagen. Mitunter wird es allerdings szenenunterstützend bewusst fahl und kalt, dann wieder schaukeln sich die Linien romantisch hoch. Und doch bleibt alles sängerfreundlich. Es wäre ja auch zu schade um die festspielwürdige vokale Qualität (zu ergänzen wären Ekaterina Gubanova als Olga, Renée Morloc als Larina, Emma Sarkissjan als Filipjewna und Georg Nigl als Saretzki) hinter der die punktuell unsauberen Philharmoniker etwas zurückfielen. Und seltsam. Etwas reserviert klang das Kollektiv mitunter. Als könnte es sich mit Barenboims Lesart nicht euphorisch anfreunden. Als das Orchester jedoch überraschender Weise auf der Bühne erschien, nahm man es jenes laute, kurze Stück des Applausweges mit. (Ljubisa Tosic / DER STANDARD, Printausgabe, 31.7.2007)