Marlies Krainz Dürr, Rektorin der Pädagogischen Hochschule Kärnten, kritisiert die Vorschläge von Katharina Cortolezis-Schlager.

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Marlies Krainz-Dürr, Mitglied der von Bildungsministerin Claudia Schmied eingesetzten Expertenkommission zur Schulreform und Rektorin der Pädagogischen Hochschule in Kärnten, kritisert die Bildungsrefom-Ideen der Wiener Stadträtin Katharina Cortolezis-Schlager aufs Schärfste. Die Idee, ein Vertiefungsjahr nach der Volksschule einzuführen, bezeichnet Krainz-Dürr als "gänzlich absurd".

"Dieser Vorschlag kommt aus dem Geist der Separierung und Selektion", meinte die Bildungsexpertin zum ÖVP-Vorstoß, die Schulen selbst aussuchen zu lassen, welche SchülerInnen und LehrerInnen sie aufnehmen. Auch im Bereich der Lehrerausbildung sieht Krainz-Dürr noch Reformbedarf: "Da ist man auf halber Strecke stehen geblieben." Das Gespräch führte Katrin Burgstaller.

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derStandard.at: Katharina Cortolezis-Schlager hat gestern einen Teil des Bildungskonzeptes der ÖVP-Perspektivengruppe präsentiert. Welchen Eindruck haben Sie vom vorgelegten Entwurf?

Krainz-Dürr: Ich kenne die Vorschläge nur aus der Zeitung. Mein Eindruck ist: Da läuft etwas schief. Ununterbrochen macht man sich über Aufnahmeregelungen und Restriktionen Gedanken, anstatt zu überlegen, wie man konstruktive Lösungen zur Förderung, Unterstützung und Integration erzielen kann.

Wenn man vorschlägt, Entwicklungsstandards für Dreijährige festzusetzen oder die Volksschulzeit für Kinder zu verlängern, die angeblich die Standards für die vierte Klasse nicht erreichen, dann kann ich das nicht mehr ernst nehmen.

Mich verwundert generell dieses hohe Vertrauen in punktuelle Tests. Ich vertraue in Prozesse und Entwicklungen. Lernen braucht einfach Zeit. Es braucht die Geduld einer Gesellschaft, Kinder wachsen und reifen zu lassen. Man muss ihnen diesen Raum auch geben.

derStandard.at: Was sagen Sie zur vorgeschlagenen Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr?

Krainz-Dürr: Ich glaube, dass eine lange Form von Ausbildung Sinn macht. Wie sie genau angeboten werden soll, muss aber gut überlegt werden. Im vorgelegten Vorschlag der ÖVP gilt diese längere schulische Ausbildung ja offensichtlich für Lehrlinge und Jugendliche, die bereits eine Anstellung haben, nicht. Eine längere Form von Bildung und Ausbildung ist sicher von Vorteil.

derStandard.at: Weshalb kritisieren Sie den Vorschlag, nach vier Jahren Volksschule ein "Vertiefungsjahr" anzuhängen, sollten die SchülerInnen gewisse Standards nicht erfüllen können?

Krainz-Dürr: Dieser Vorschlag ist für mich gänzlich absurd. Selbstverständlich würde die Einstufung in das Vertiefungsjahr von den Kindern als "Sitzenbleiben" wahrgenommen werden. Ich kann mir auch vorstellen, dass diese SchülerInnen stigmatisiert werden.

Warum sollten Kinder, die noch bestimmte Defizite haben, nicht in einer gemeinsamen Schule sehr gut gefördert werden? Dass sie nun im Alter von 10 Jahren mit dem zusätzlichen Volkschuljahr noch auf einen dritten Schultyp verteilt werden sollen, ist für mich unverständlich. Ebenso lehne ich den Vorschlag ab, das Zeugnis der dritten Klasse Volksschule etwa zum Aufnahmekriterium für die AHS zu machen. Man verlegt den Druck und die Auslese immer weiter nach vorne. Jeder weiß, dass man in diesem Alter noch keine ernsthaften Prognosen stellen kann

derStandard.at: Sollen sich Schulen ihre SchülerInnen und LehrerInnen selbst aussuchen können?

Krainz-Dürr: Das würde dazu führen, dass Schulen noch weiter auseinanderdriften. Diese Idee ist absolut kontraproduktiv, wenn man ein gutes staatliches Schulwesen will, das eine gewisse Durchmischung braucht. Die Schule ist ja auch ein Lebensraum, in dem gelernt werden soll, mit Vielfalt und Unterschiedlichkeit umzugehen. Dieser Vorschlag kommt aus dem Geist der Separierung und Selektion.

derStandard.at: Sie meinen, dieser Vorschlag würde zu einer zusätzlichen Elitenbildung führen?

Krainz-Dürr: Natürlich. Die Schulen, die es sich leisten können, nehmen nur die Besten und schauen genau, wie finanzstark die Eltern sind.

derStandard.at: Die Expertenkommission zur Schulorganisation wird sich ja auch mit dem Thema Lehrerausbildung auseinander setzen. Wie soll die Lehrerausbildung idealerweise gestaltet sein?

Krainz-Dürr: Die Lehrerausbildung mit der Einrichtung der Pädagogischen Hochschulen, die im Herbst ihren Stdienbetrieb aufnehmen werden, generell auf ein akademisches Niveau zu heben, war ein wichtiger Schritt. Allerdings ist man da auf halber Strecke stehen geblieben. Mein Wunsch ist, alle Lehrer und Lehrerinnen, also auch PflichtschullehrerInnen, bis zum Abschluss mit einem Mastergrad auszubilden. Weiters müsste die vorschulische Erziehung, also die KindergartenpädagogInnen, in den Prozess der Akademisierung miteinbezogen werden. Eine Zusammenführung der Ausbildung für PflichtschullehrerInnen und AHS-LehrerInnen muss ebenfalls überlegt werden, schließlich unterrichten sie viele SchülerInnen im gleichen Alter und manchmal auch nach dem gleichen Lehrplan. Trotzdem leistet man sich in Österreich noch eine getrennte Ausbildung

derStandard.at: Cortolezis-Schlager will Hauptschulen als Unterstufen deklarieren und durch Profilbildung aufwerten. Kann das gelingen?

Krainz-Dürr: Für mich sind das einfach Sprachspielereien, die ich nicht nachvollziehen kann. Viele Hauptschulen konnten durch hervorragende Schulentwicklung und Profilbildung in der Vergangenheit dem Schülerschwund entgegentreten. Trotzdem will der Großteil in eine AHS, weil diese Schulform für die Eltern prestigeträchtiger ist. Ich glaube nicht, dass es gelingt, die Hauptschulen aufzuwerten, indem man sie als Unterstufen deklariert, wenn daneben die Langform des Gymnasiums existiert. Hauptschulen sind ja bereist Unterstufen - auch HauptschülerInnen können höhere Schulen besuchen.

derStandard.at: Würde es Sinn machen, ein Volksbegehren oder eine Volksabstimmung zur Bildungsreform abzuhalten?

Krainz-Dürr: Es ist die Aufgabe der Politik, Rahmen zu setzen, in denen Kinder und Jugendliche optimal gefördert und auf die Zukunft vorbereitet werden. Das ist keine Frage einer Volksabstimmung.

derStandard.at: Wie geht Arbeit in der Expertenkommission voran?

Krainz-Dürr : Die Arbeitsgruppe wird sich Ende des Sommers wieder treffen. Wir arbeiten sehr intensiv, weil jeder einzelne gefordert ist, Vorschläge aus seinem Bereich schriftlich zu erarbeiten. (Katrin Burgstaller/derStandard.at, 2. August 2007)