Die Stadt Wien setzt auf Workshops an zehn Schulen und eine Onlinekampagne.
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Eine Whatsapp-Gruppe von Schülerinnen mit dem Namen "Wir sind Hitlerinnen" oder ein Jugendlicher, der seiner Mitschülerin den Schulball ausreden will, weil dieser "haram" (also verboten) sei: Es sind zwei exemplarische Fälle, die erst kürzlich an Verena Fabris von der Beratungsstelle Extremismus des bundesweiten Netzwerks Offene Jugendarbeit (bOJA) herangetragen wurden. Und sie sind keine Seltenheit: Als Anlaufstelle erhält bOJA jährlich zwischen 800 und 1.000 Meldungen und Fragen rund um das Thema Extremismus und Radikalisierung – Tendenz steigend.

Diese verteilen sich folgendermaßen: Die meisten Meldungen gibt es mit 40 Prozent beim Verdacht auf islamistischen Jihadismus, wobei das Spektrum sehr weit sei, sagt Fabris. So ist es für manche schon ein Grund zur Sorge, wenn eine Schülern nach den Sommerferien mit dem Kopftuch in die Schule kommt. Nicht überall handle es sich demnach um Radikalisierung. An zweiter Stelle kämen dann Meldungen zu Rechtsextremismus mit etwa 25 Prozent. "Und dieser Bereich sowie die Themen Antisemitismus, Homophobie und Sexismus sind die letzten zwei Jahre stärker geworden", skizziert Fabris ihre Beobachtungen.

Resilienz bei Jugendlichen stärken

Um es aber gar nicht erst zu Vorfällen kommen zu lassen, will die Stadt Wien nun gemeinsam mit bOJA ab Herbst 2023 ein neues Projekt namens "Wir alle sind Wien" starten – und früher ansetzen. Sogenannte Rolemodels sollen dafür an Schulen entsandt werden, um mit Jugendlichen über Themen wie antimuslimischer Rassismus, Sexismus, Homophobie und Flucht und Migration zu diskutieren. Das verkündete Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) am Dienstag bei einem Mediengespräch mit Fabris. "Unser Ziel muss sein, Schulkinder zu erreichen, bevor die Radikalisierung passiert", sagt er. Und das will der Vizebürgermeister unter anderem mit einem muslimischen Seelsorger und einem jüdischen Aktivisten bewerkstelligen. In einer ersten Pilotphase sollen mit diesen zehn Workshops an Berufs- und Mittelschulen stattfinden. Welche Schulen genau ausgewählt werden, ist noch unklar. Die Zielgruppe seien Kinder von zehn bis 17 Jahren.

Neben den Workshops schwebt Wiederkehr auch eine Onlinekampagne vor, bei der man auf bekannte Influencer setzt. Mit deren Hilfe sollen Jugendliche über Tiktok, Instagram und Youtube erreicht werden, auch "um die Nachhaltigkeit des Projekts zu sichern". Als Testimonials wurden Influencerinnen wie die Rapperin Schwesta Ebra und das Tiktok-Duo Cop & Che ins Boot geholt, sagt Wiederkehr. 

Empfehlungen von Studie

Was dem Projekt zugrunde liegt, sind Empfehlungen der Studie "Prävention findet Stadt" von Nicolas Stockhammer, die er für die Stadt Wien nach dem Terroranschlag vom November 2020 durchführte. Ein zentraler Punkt: Es brauche eine strukturelle und permanente Integration von alternativen Erzählungen, sodass sich Jugendliche nicht von "Rattenfängern ködern lassen", sagt Stockhammer, der auch bei dem Gespräch vor Ort war. Denn die Sinn- und Identitätssuche sei ein wesentliches Thema bei allen Jugendlichen, und nur mittels Primärprävention könnten diese auch den Weg in eine pluralistische Gesellschaft finden. Er glaubt, dass das Projekt durch die zeitgemäße Ansprache und die Formate einen guten Beitrag dazu leisten könne. 

Zunächst soll das Projekt vor Ort aber nur an zehn Standorten stattfinden. "Und nicht dort, wo bereits Vorfälle stattgefunden haben", sagt Fabris. In solchen Fällen sei es besser, auf Schulungen und Workshops mit Lehrkräften zu setzen. Nach welchen Kriterien die Schulen letztlich ausgewählt werden, blieb beim Gespräch noch vage. Wiederkehr hofft jedoch nach der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluierung des Projekts, dass dieses noch weiter ausgebaut wird. Doch woran will man festmachen, ob es überhaupt Früchte trägt? Hier verweist Stockhammer auf Befragungen und Feedbacks von Lehrkräften und den Adressatinnen im Anschluss an die Workshops. (etom, 23.5.2023)