Verschiedene bunte Medikamentendosen mit Pillen vor weißem Hintergrund.
Welche Wirkstoffe in welcher Dosis für individuell abgestimmte Therapien geeignet sind, kann im Labor bewertet werden. Nebenwirkungen werden dadurch reduziert.
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Der Wirkstoff Tramadol wird bei "mäßigen und schweren Schmerzen" eingesetzt, beispielsweise bei Bandscheibenvorfällen, Rheumaerkrankungen oder Gelenkproblemen. Das Schmerzmittel gilt als hochwirksam, hat aber auch eine Reihe von Nebenwirkungen.

Wie viele andere Wirkstoffe wird Tramadol im Körper durch ein spezielles Enzym in der Leber in die aktive Form verstoffwechselt. Besteht ein Mangel an diesem Enzym, wie das laut Schätzungen bei sieben Prozent der Europäer der Fall ist, setzt die Wirkung aber gegebenenfalls nicht im vollen Ausmaß ein. Wenn, umgekehrt, der Patient ein "schneller Metabolisierer" ist und den Wirkstoff also in ungewöhnlich kurzer Zeit umsetzt, besteht sogar das Risiko, dass Symptome einer Überdosierung auftreten.

Individuelle Dosierung

Stoffwechselenzyme sind für die Wirkung und Nebenwirkungen vieler Medikamente relevant, unter anderem Antidepressiva, "Blutverdünner" oder Wirkstoffe in der Krebsbehandlung. Der Abbauprozess wird zudem nicht nur von der Genetik beeinflusst, sondern auch von weiteren Medikamenten, die ein Patient oder eine Patientin vielleicht einnimmt. Der Untersuchung all dieser Zusammenhänge widmet sich die Pharmakogenetik.

Hier arbeitet man daran, die Erbinformation eines Patienten mit den Arzneimittelwirkungen in Zusammenhang zu bringen. Die Wahl der Wirkstoffe und deren Dosierung können so im Zuge einer personalisierten Medizin besser an die individuelle körperliche Charakteristik eines Patienten angepasst werden. Größter Vorteil: Unerwünschte Nebenwirkungen werden reduziert.

Praxistauglichkeit als Ziel

In dem Bereich sind auch bereits einige Anwendungen am Markt. Zu den Anbietern gehört das Salzburger Unternehmen Pharmgenetix, das sich aus der Paracelsus-Privatuniversität Salzburg (PMU) entwickelt hat. Geschäftsführer Wolfgang Schnitzel und seinem derzeit 25-köpfigen Team ist es wichtig, dass die Auswertungen, die anhand von Blutproben durchgeführt werden, praxistauglich sind und gut in die medizinische Praxis integriert werden können.

"Wenn wir einem Arzt einen 30-seitigen Befund mit detaillierter Information zu möglichen Wirkstoffvarianten schicken, stößt das auf wenig Gegenliebe", sagt Schnitzel. "Wir sind stolz auf unsere interaktive Plattform, die Ärzten einfach und übersichtlich zeigt, welche Wirkstoffalternativen zielführend sind und ob es Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten gibt."

In Österreich etabliert

Pharmgenetix wurde 2015 vom Südtiroler Mediziner Markus Paulmichl mitgegründet, dem langjährigen Leiter des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie an der PMU. Nach Forschungserfahrungen an US-Instituten hat er die pharmakogenetischen Methoden auch hier etabliert und begonnen, eine entsprechende Wirkstoffdatenbank aufzubauen.

Finanzielle Unterstützung kam im Zuge des Unternehmensaufbaus vom Austria Wirtschaftsservice (AWS), der Förderagentur FFG und dem Land Salzburg. 2019 hat der studierte Genetiker Schnitzel die Geschäftsführung übernommen. Kommt eine neue Blutprobe in die Labors des Unternehmens im Salzburger Ort Anif, wird anhand verschiedener genetischer Analysen die Funktionsfähigkeit von über 20 klinisch relevanten Enzymen erhoben und nach ihrer jeweiligen Metabolisierungsgeschwindigkeit bewertet.

Hoher Rechenaufwand

Immer wieder werden dabei auch Enzymvarianten entdeckt, die in der Literatur noch nicht beschrieben sind. "Wir haben ein eigenes, patentiertes Verfahren, um anhand einer Zellkultur zu untersuchen, wie die Funktion dieser Varianten von den bekannten Pendants abweicht", hebt Schnitzel hervor.

Die Daten werden zur Grundlage einer Softwareauswertung zur Wirkstoffverträglichkeit, die sehr rechenaufwendig werden kann. "Es kommt vor, dass ein Patient acht verschiedene Medikamente nehmen muss. Geht man von jeweils sechs Alternativen aus, kommt man schnell auf 1,7 Millionen Möglichkeiten", schildert der Genetiker. "Wir präsentieren die aus unserer Sicht optimalen Optionen, die zur höchsten Wirksamkeit und den geringsten Nebenwirkungen führen. Der Arzt, der die Geschichte des Patienten genau kennt, trifft dann die finale Entscheidung."

Einmaliger Bluttest

Der Bluttest muss für jeden Patienten und jede Patientin lediglich einmal durchgeführt werden. Aus den erhobenen Daten können aber immer neue Wirkstoffkombinationen errechnet werden. Im Moment sind Daten für etwa 800 Wirkstoffe verfügbar. Der Service vom Pharmgenetix wird bisher vor allem von Wahlärzten und Privatkrankenhäusern angeboten. Der größte Kunde sind die Südtiroler Sanitätsbetriebe (Sabes). In den dazugehörigen Kliniken wird die Anwendung seit Jahresbeginn ausgerollt.

Laut Pharmgenetix-Information ist Südtirol damit die erste Region Europas, in der die Analysemethode flächendeckend eingesetzt wird. Schnitzel bedauert, dass Österreichs Gesundheitsbereich bei der Adaptierung der Methode zögerlich ist. "Der Markt ist noch nicht sehr groß. Wir arbeiten aber am internationalen Ausbau unserer Geschäftsbeziehungen", sagt er. (Alois Pumhösel, 30.5.2023)