Schwarze Löcher machen in der Regel nicht nur durch ihre extremen Eigenschaften, sondern oft auch durch ihre schiere Größe von sich reden. Insofern mag die Nachricht von "mittelgroßen" Schwarzen Löchern verblüffen.

Beim Blick auf die Maße dieser Objekte relativiert sich die Vorstellung "moderat" dimensionierter Schwarzer Löcher schnell wieder. Mit 100 bis hin zu 100.000 Sonnenmassen sind auch sie gewaltig. Mittelgroß sind sie nur im Vergleich zu den anderen bekannten Typen von Schwarzen Löchern: Während die "kleinen" etwa die zehnfache Masse der Sonne haben, sind es bei supermassiven Schwarzen Löchern, wie sie im Zentrum von Galaxien vorkommen, mehrere Milliarden Sonnenmassen.

Dazwischen befindet sich also eine große Lücke. Dass sich darin überhaupt Schwarze Löcher finden lassen, ist nicht selbstverständlich. Denn bisher lässt sich nicht eindeutig erklären, wie sie entstehen könnten. Sie sind zu groß, um von kollabierenden Sternen zu stammen, doch es fehlt ebenso die extreme Umgebung supermassiver Schwarzer Löcher, die ihnen helfen könnte, sie zu der beobachteten Größe aufzublähen.

Ein Video der US-Weltraumagentur Nasa erklärt eine frühere Entdeckung eines Schwarzen Lochs mittlerer Größe.
NASA Goddard

Dass es sie gibt, legen sogenannte ultraleuchtkräftige Röntgenquellen nahe. Die dort ausgesandten Röntgenstrahlen künden von Bedingungen, die an jene um die supermassiven Schwarzen Löcher im Zentrum von Galaxien erinnern, nur eben nicht ganz so extrem. Im Gegensatz zu Letzteren finden sie sich an verschiedenen Stellen in Galaxien, also auch abseits der Zentren. Von kleinen, "stellaren" Schwarzen Löchern können diese Effekte nicht stammen, dafür sind die Bedingungen wiederum zu extrem.

Aufgabe für "Oldie" Hubble

Am besten geeignet, um diese sonderbaren Exoten unter den Schwarzen Löchern zu erforschen, ist ausgerechnet das seit 1990 im All befindliche Weltraumteleskop Hubble. Denn während mittelgroße Schwarze Löcher durch Röntgensignale auf sich aufmerksam machen, sind durch die Rätsel, die sich noch um sie ranken, unabhängige Bestätigungen besonders wichtig. Solche liefert das Hubble-Teleskop, zuletzt etwa 2020, als der bislang aussichtsreichste Kandidat für ein solches Schwarzes Loch gefunden wurde. Doch bereits 2009 gab es erste Untersuchungen mithilfe von Hubble, die auf die Existenz eines mittelgroßen Schwarzen Lochs hindeuteten.

Diese beiden Schwarzen Löcher wurden in den Zentren von dichten Sternenhaufen gefunden, die sich nahe der Ränder von Galaxien befanden. Das machte die späteren Entdecker des neuen Schwarzen Lochs neugierig, denn auch die Milchstraße besitzt solche Sternenhaufen. Bereits 2008 gab es Beobachtungen, die die Existenz eines Schwarzen Lochs mittlerer Größe im Sternenhaufen der Milchstraße vermuten ließen, doch die Daten blieben unklar. Nun wandte sich ein Team um den Astrophysiker Eduardo Vitral vom Space Telescope Science Institute im US-amerikanischen Maryland nochmals diesen vergleichsweise nahe gelegenen Sternenhaufen zu und wurde fündig.

Der Kugelsternhaufen Messier 4 ist dank seiner großen Ausdehnung ein beliebtes Objekt zur Sternbeobachtung. Dieses Bild wurde vom Weltraumteleskop Hubble aufgenommen.
ESA/Hubble, NASA

Im Zentrum eines Sternenhaufens

Das neu entdeckte Schwarze Loch befindet sich im Kugelsternhaufen Messier 4 im Sternbild Skorpion, hat etwa die 800-fache Masse unserer Sonne und ist im Vergleich zu den bisher entdeckten ein Winzling. Davon berichtet das Team um Vitral in einer neuen Publikation, die nun im Fachjournal "Monthly Notices of the Royal Astronomical Society" erschien. 

Dass gerade das in die Jahre gekommene Hubble-Teleskop die erhoffte Bestätigung für die Beobachtung des neuen Schwarzen Lochs bringt, ist kein Zufall. Der Nachweis gelang über die Bewegung von Sternen, die das dichte Objekt umkreisen. Erst durch den Vergleich von Bildern, die in einem Zeitraum von zwölf Jahren aufgenommen wurden, war es möglich, die Rotation der Sterne und damit die Eigenschaften des Schwarzen Lochs zu bestimmen. "Ohne Hubble wäre diese Art von Forschung nicht möglich", sagt Vitral in einer Aussendung der US-Weltraumagentur Nasa.

Es handelt sich um einen indirekten Nachweis, doch die Daten seien gut, wie Vitral betont. "Wir haben verlässliche Hinweise darauf, dass es sich um eine sehr winzige Region mit viel konzentrierter Masse handelt. Sie ist etwa dreimal kleiner als die dichteste dunkle Masse, die wir zuvor in anderen Kugelsternhaufen gefunden haben", sagt Vitral. "Die Region ist kompakter als alles, was wir mit numerischen Simulationen berechnen können, wenn wir eine Ansammlung von Schwarzen Löchern, Neutronensternen und Weißen Zwergen berücksichtigen, die im Zentrum des Haufens vereinzelt sind. Diese sind nicht in der Lage, eine derart kompakte Massenkonzentration zu bilden."

Hier wird die Entdeckung des neuen Schwarzen Lochs im Kugelsternhaufen Messier 4 erklärt.
NASA Goddard

Die genauere Erforschung des Objekts könnte helfen, mehr über ihre Entstehung herauszufinden. Mehrere mögliche Theorien werden diskutiert, die sich meist darum drehen, woher die fehlende Masse stammen könnte, die aus einem durch eine Sternexplosion entstandenen Schwarzen Loch eines von mittlerer Größe macht. Doch auch dass es sich um Reste aus der Frühzeit des Universums handeln könnte, wird nicht ausgeschlossen.

Final festlegen will Vitral sich nicht, doch der Spielraum für alternative Erklärungen ist sehr gering. "Wir können zwar nicht vollständig bestätigen, dass es sich um ein einziges Gravitationszentrum handelt, aber wir können zeigen, dass es sehr klein ist. Es ist zu winzig, als dass wir es anders als durch ein einzelnes Schwarzes Loch erklären könnten. Vielleicht gibt es aber auch einen stellaren Mechanismus, den wir einfach nicht kennen, zumindest im Rahmen der aktuellen Physik", sagt Vitral.

Das Problem des eindeutigen Nachweises ist auch von der Erforschung anderer Schwarzer Löcher bekannt. Bei Sagittarius A* war es auch die Beobachtung der Bahnen von Sternen, die letztlich für die Bestätigung sorgte, dass wirklich alle anderen Erklärungen ausgeschlossen werden können und es sich tatsächlich um ein supermassives Schwarzes Loch handelt. Diesem aufsehenerregenden Ergebnis war ein jahrzehntelanger Kampf um die richtige Interpretation vorausgegangen. Die Beilegung dieses Gelehrtenstreits war 2020 für den Physiknobelpreis gut.

Doch ein kleiner Zweifel bleibt, wenn es um die Existenz der mittelgroßen Schwarzen Löcher geht, und wird die Forschenden zu immer genaueren Beobachtungen antreiben. (Reinhard Kleindl, 27.5.2023)