Von Zusammenraufen keine Spur: Die Sozialdemokraten haben zwar miteinander gerungen, doch sich dabei eher noch mehr entzweit. Nach stundenlangen Streitereien drückte bei einer Abstimmung im Parteivorstand eine knappe Mehrheit ihren Willen durch: Nicht die Mitglieder werden in einer nächsten Befragungsrunde über den künftigen SPÖ-Chef entscheiden, sondern die Delegierten am Parteitag.

Ein übles Werk von Hans Peter Doskozil, der – wie seine Gegner schimpfen – für Basisdemokratie nur so lange eintritt, wie sie ihm persönlich nützt? Oder legt es ein machtrauschiger Andreas Babler auf Eskalation an, indem er das Ergebnis einer Urabstimmung partout nicht akzeptieren will?

Parteiinterner Frieden scheint nicht in Sicht: Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil.
APA/ROBERT JAEGER

Wer sich um einen unvoreingenommenen Standpunkt bemüht, dem fällt das Urteil nicht leicht. Natürlich verfolgen beide Kontrahenten ihr Eigeninteresse. Doskozil und Babler fordern jeweils jenen Modus, in dem sie sich die größten Chancen versprechen. Doch was die Sache vertrackt macht: In der Sache haben beide gewissermaßen recht.

Zweite Runde

Aus demokratiepolitischer Sicht liegt Babler völlig richtig, wenn er ein eindeutigeres Votum als die relative Mehrheit bei der Basisbefragung fordert. Soll das Resultat vom Montag – wie von Doskozil verlangt – bereits den Sieg garantieren, dann würde ihm der magere Rückhalt von nicht einmal einem Viertel aller Mitglieder reichen. Nach diesem Modell könnte die SPÖ auch einen Chef bekommen, den eine Mehrheit definitiv nicht will. Genau deshalb sehen seriöse Urnengänge wie die Bundespräsidentenwahl eine zweite Runde zwischen den beiden bestgelegenen Kandidaten vor.

Dass es diese zumindest in Form eines Parteitags gibt, ist ein hatscherter Kompromiss. Denn wenn die SPÖ mit dem Versprechen der Mitbestimmung Anhänger begeistern will: Warum sollen dann in der Stichwahl plötzlich nur die Funktionäre die Entscheidung treffen?

Allerdings lässt sich auch der Gegenseite schwer widersprechen. Es stimmt, dass Doskozil im März noch glühender Verfechter des Mitgliederentscheids war, der ihm dann ja auch Platz eins bescherte. Doch damals hat eine Mehrheit in den roten Führungszirkeln das Prozedere nun einmal so festgelegt, wie es jetzt stattfindet. In einem laufenden Bewerb müssen die Spielregeln halten. Anhand eines Beispiels, das dem fußballaffinen Babler vielleicht einleuchtet: Nur weil die
österreichische Bundesliga nach dem Grunddurchgang eine vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus fragwürdige Punkteteilung vornimmt, steht es einem Klub noch lange nicht zu, während der Saison eine Modusänderung zu verlangen.

Gerade manche Neuankömmlinge im Team Babler sollten überdies nicht so tun, als gehe es ihnen wirklich um hehre basisdemokratische Prinzipien. Als es noch galt, Pamela Rendi-Wagner als Parteichefin zu retten, waren die Doskozil-Gegner der Wiener SPÖ noch kein bisschen von derartigen Gedanken beseelt.

Sowohl Doskozil als auch Babler haben also starke Argumente. Das Dilemma hätte sich leicht verhindern lassen, wären die zerstrittenen Sozialdemokraten nicht unfähig gewesen, ihr überfälliges Experiment zu Ende zu denken. Von Anfang an hätte eine Quasi-Stichwahl unter den Mitgliedern fixiert werden müssen. Die Vorsitzendenkür hätte sich zwar noch länger gezogen – doch das wäre ein geringerer Schaden als das Bild von Chaos und Selbstzerfleischung. (Gerald John, 24.5.2023)