Emil Wendel bei der Arbeit
Emil Wendel leitet bei Ärzte ohne Grenzen das Kampagnenmangement des Face-to-Face-Fundraising
Tina Götz/Ärzte ohne Grenzen

Wer kennt sie nicht ­– junge Menschen, die für Hilfsorganisationen auf belebten Einkaufsstraßen Passanten zum Spenden motivieren möchten. Besonders während der Sommermonate ist diese Aufgabe bei Schülern und Studierenden eine beliebte Einkommensquelle. Auch Emil Wendel kennt diesen Job seit seiner Schulzeit. Mit 16 Jahren kam er über eine Freundin zum Face-2-Face(F2F)-Fundraising für Amnesty International. Damals klopfte er an Wohnungstüren und versuchte, die Bewohnerinnen und Bewohner zum Spenden für ein Projekt gegen Kindersoldaten zu überzeugen.

Das war vor 13 Jahren. Mittlerweile leitet er seit einem Jahr bei Ärzte ohne Grenzen diesen Fundraising-Bereich und ist selbst noch gern auf der Straße oder von Tür zu Tür im Einsatz. Wenn man ihn fragt, was das Schöne an diesem Job ist, kommt die Antwort: "Die Herausforderungen. Das gehört zum Job dazu, das muss man schon mögen, wenn man das macht." Denn man wisse nie, wer das Gegenüber sei, was diese Person gerade erlebt habe, in welcher Stimmung sie gerade sei. Sich dar­auf einlassen und gut reagieren zu können sei geistig anstrengend, brauche viel Energie. Am Anfang sei es schon schwierig gewesen, sich da hineinzufinden, gibt Wendel zu. "Aber es ist ein Glück, sich für etwas einsetzen zu können, hinter dem man zu hundert Prozent steht."

Mehr Flexibilität als Ziel

Das F2F-Team bei Ärzte ohne Grenzen (MSF) ist sehr jung und von überschaubarer Größe. Zwischen sechs und sieben Personen arbeiten während des Jahres. In den Sommermonaten sind es aber deutlich mehr. "Bei uns kann man 16, 24 oder 32 Stunden pro Woche arbeiten, und wir haben vor, in Zukunft noch flexibler zu werden", ergänzt Wendel. Auch mehr Diversität ins Team zu bringen sei ein erklärtes Ziel. In Deutschland habe man mit Pensionistinnen und Pensionisten als Campaigner bereits gute Erfahrungen gemacht. "Am Ende eines guten Tages stehe ich da und grinse wie ein Honigkuchenpferd, weil es toll ist, was man da erlebt."

Die Campaigner, die dieses Jahr angefangen haben, akquirierten rund 3000 Euro im Monat an Spenden. Der Rekord waren einmal fast 6900 Euro. Im Schnitt spenden die so gewonnenen Unterstützerinnen und Unterstützer sechs bis sieben Jahre. "Hochgerechnet heißt das, wir bekommen zwischen 20.000 Euro und 40.000 Euro an Privatspenden für die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen." Und die Statistik zeigt, dass ältere Personen meist mehr und über einen längeren Zeitraum spenden, dennoch dürfe man nicht voreingenommen gegenüber bestimmten Personengruppen sein, denn dann falle es schwer, mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen. "Dann wird das Vorurteil zur Selffulfilling Prophecy."

Ärzte ohne Grenzen beim Spendensammeln auf einer Einkaufsstraße
Emil Wendel mit einer Kollegin
Tina Götz/Ärzte ohne Grenzen

Die Wertschätzung dieser Arbeit zeige sich bei MSF auch in der Bezahlung. "Wir haben ein höheres Fixum und einen niedrigeren variablen Anteil. Wir wollten nicht, dass die Leute jeden Monat zittern müssen, ob sie ihre Miete zahlen können." Mit einer durchschnittlichen Provision steigt man mit rund 1430 Euro brutto im Monat bei 32 Stunden ein. Nach drei Monaten als Junior steigen Campaigner automatisch zum Senior auf, nach einem Jahr dann zum Professional. Mit einem eintägigen Training mit Rollenspielen und umfangreichen Informationen zur Arbeit von Ärzte ohne Grenzen werden neue Mitarbeiter vorbereitet.

Gute Laune ist der Erfolgsfaktor

Die Stimmung am Stand sei der entscheidende Erfolgsfaktor. "Man kann die Leute so gut ausbilden, wie man will. Wenn sie keinen Spaß haben, sie nicht motiviert sind, aktiv Menschen anzusprechen, dann wird das nicht funktionieren." Als Faustregel gelte: Alles, was die Selbstmotivation beeinflusse, beeinflusse auch das Tagesergebnis. "Man kriegt bei dem Job immer einen Spiegel vorgehalten. Wenn ich einen schlechten Tag habe und vorher mit meiner Freundin gestritten habe, dann geht da nix, das ist brutal. Da machen alle Leute zu. Und wenn ich gut drauf bin, dann entstehen die intimsten Gespräche mit den Leuten. Aber auch umgekehrt: Wenn ich übermotiviert und zu pushy bin, blocken die Leute ab."

Richtig unangenehme Erfahrungen hat er aber während der Arbeit nicht gemacht. Zwar könne es immer wieder einmal vorkommen, dass Passanten ungehalten sind. Das passiere aber nur, wenn man sich selbst nicht richtig verhalten habe und beispielsweise den Weg versperre oder Ähnliches. "Die Ansprache ist ganz sicher ein heikles Thema. Freundlich, aber nicht zu aufdringlich sein und den Leuten nicht zu nahe treten ist hier die Devise."

Wenn der Anfang gelinge, könne es auch zu berührenden Momenten kommen. Langweilig werde es nie. Jeder Passant habe seine eigene Geschichte. Und nicht selten werde bereits nach wenigen Minuten über Gott und die Welt philosophiert, teilweise auch sehr emotional. "Wäre der Job einfach, hätte ich ihn nie so lange gemacht. Ich bin persönlich sehr dar­an gewachsen und habe intensiv an meinen rhetorischen Fähigkeiten gearbeitet. Und jeder Tag ist offen für eine Überraschung." (Gudrun Ostermann, 7.6.20023)