Die dunkelgraue Fassade des Altbaus in der Wiener Columbusgasse ist schmucklos, an manchen Stellen im Erdgeschoß ist der Putz abgebröckelt. Eigentlich gibt es hier nichts zu sehen. Und doch steht eine kleine Gruppe von Menschen mit Klemmbrettern vor dem Haus, schaut die Fassade hoch und macht sich Notizen. Es ist ein Team, bestehend aus Baupolizei (MA 37) und der Gruppe Sofortmaßnahmen der Stadt Wien, das in einem Grätzel rund um den Wiener Reumannplatz heute den Zustand der Gebäude inspiziert.

Gründerzeitgebäude rund um den Reumannplatz
Insgesamt drei Teams waren vor wenigen Tagen rund um den Reumannplatz unterwegs. Das Ziel: die Qualität der Gebäude zu erheben.
Zoidl

Die Qualität eines Hauses passt auf einen doppelseitigen A4-Zettel: Anhand eines Ampelsystems wird beispielsweise der Zustand der Fassade, der Fenster, der Gesimse, aber auch der Stiegenhausbeleuchtung und der Handläufe erfasst.

Der erste Eindruck des Altbaus in der Columbusgasse bestätigt sich: Er ist durch und durch unauffällig. "Im Großen und Ganzen in Ordnung", lautet das Urteil der Baupolizei. Mit den Gebäudeeigentümern wird im Anschluss dennoch Kontakt aufgenommen. Einige Kleinigkeiten, etwa ein schadhaftes Kanalgitter im Hof, sind zu beheben. Liegt etwas gröber im Argen, etwa weil das Geländer im Stiegenhaus wackelt, wird die Gruppe Sofortmaßnahmen aktiv und behebt den Schaden provisorisch. Arbeiten werden den Eigentümern in Rechnung gestellt. Das ist, wie es bei der Begehung heißt, bei den Screeningterminen aber nur selten der Fall.

Aufregung in Wiener Grätzeln

Diese finden seit einigen Wochen in unterschiedlichen Grätzeln statt, in denen, als Anlaufstelle für Anrainerinnen und Anrainer, auch ein mobiler Stand auf einem Parkplatz errichtet wird. Das ist Teil der Offensive Altbauschutz der Stadt Wien. Denn obwohl Häuser, die vor 1945 errichtet wurden, per Gesetz vor Abbrüchen geschützt werden, rollt immer wieder der Abbruchbagger an. Die alten Häuser, in denen die Mieten gedeckelt sind, die Nachbarn einander kennen und die Wohnqualität in der Regel gut ist, weichen oft Neubauten mit hohen Mieten. Häufig wird kritisiert, dass Eigentümer ihre Häuser absichtlich verfallen lassen, um dann mit wirtschaftlicher Abbruchreife argumentieren zu können.

In vielen Grätzeln sorgen Abbrüche – oder auch bloß Gerüchte darüber – für große Aufregung. Daher gibt es seit kurzem auch eine Servicehotline, bei der man Baumängel melden kann. Rund 100 Meldungen sind bisher eingegangen. "Weit über 90 Prozent der Adressen sind uns bereits bekannt, da wurden wir nicht groß überrascht", sagt Stephan Steller von der Baupolizei.

In der Columbusgasse geht es weiter zum Nachbarhaus. Die sonnengelbe Fassade wirkt freundlich. Doch im Innenhof sorgt ein kleines Fenster für großes Stirnrunzeln bei den Experten: Der Verputz rund um das Fenster ist schadhaft – und außerdem, erklärt Martina Stock von der Baupolizei, könnte es sein, dass es ohne Genehmigung eingebaut wurde. Findet sie später im Archiv keine Bewilligung, muss es entfernt werden.

Der Liftschacht kippt

"Das ist jetzt nichts, was mich erschaudern lässt", sagt Robert Schmied von der Baupolizei abschließend zum Zustand des Hauses. Er kennt aus seiner jahrzehntelangen Tätigkeit ganz andere Fälle. Einmal, erzählt er, wollte ein Bewohner die Rundbögen im Erdgeschoß seines Hauses in Eigenregie entfernen, was zu einem Einsturz der Gewölbedecke führte.

Nicht weniger dramatisch war ein nicht sachgemäß errichteter Liftschacht, der zu kippen drohte. Insgesamt, betont Schmied, gebe es heute wie damals Eigentümer, die keine Arbeiten durchführen wollen – und entsprechend Druck brauchen. Nach gut 20 Minuten geht es weiter. Die Dauer einer Begehung hänge auch immer davon ab, ob man Bewohnerinnen und Bewohner antreffe. Diese hätten oft viel Mitteilungsbedarf, wenn sie dem Team begegneten – und würden mitunter wichtige Hinweise auf Mängel geben. Der beste Baupolizist, betont man bei der Baupolizei, sei daher immer noch der Mieter selbst. (Franziska Zoidl, 26.5.2023)