Werner Lampert wird nicht müde, vor den Folgen des Klimawandels zu warnen. Sorge bereitet ihm die Spaltung der Gesellschaft. Menschen neigten zusehends zu politischen Extremen.

Werner Lampert: "Die Festung Europa ist aus Papier. Sie wird zu einer Lachnummer werden."
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STANDARD: Sie haben einmal gesagt, mit Essen könne man die Welt verändern. Glauben Sie noch daran?

Lampert: Bei diesen politischen Verwerfungen bin ich mir nicht mehr so sicher. Es gibt Krieg in Europa, wir haben Diktaturen in Europa und in Österreich eine Partei, die die ungarische Regierungsform anhimmelt. Es sind grauenhafte Umstände. Unser Problem jedoch ist der Klimawandel. Jeder Politiker weiß seit Beginn der 80er-Jahre, was auf uns zukommt. Doch man hat nichts zustande gebracht, und man bringt weiterhin nichts zustande. Alles, was mit Essen zusammenhängt, ist mit 37 Prozent der größte CO2-Emittent. Wir brauchen eine andere Landwirtschaft.

STANDARD: Sie beobachten die politische Entwicklung mit Sorge.

Lampert: Wir leben in einer Scheinwelt und sind nicht bereit, diese aufzugeben. Es gibt so viele Menschen, die nicht mehr in ihrem Land leben können – ohne selbst etwas dafür zu können, ohne selbst dem Klima zu schaden –, weil wir so rücksichtslos sind, wie wir sind. Diese Menschen werden kommen. Doch statt uns im großen Stil mit Bevölkerungsbewegungen auseinanderzusetzen, fantasieren wir von einer Festung Europa. So etwas Verrücktes. Diese Festung ist aus Papier. Sie wird zu einer Lachnummer werden.

STANDARD: Die Kluft in der Gesellschaft geht auch innerhalb Österreichs auf. Was braucht es, um einkommensschwachen Haushalten zu helfen?

Lampert: Erwachsene wollen keine Almosen. Sie brauchen ein Einkommen. Es geht um den Mindestlohn. Es dürfen bei uns keine amerikanischen Verhältnisse einreißen, wo jemand zwei, drei Jobs braucht, um sein Leben zu bestreiten. Rasen die Kosten für Mieten, Energie und Lebensmittel in die Höhe, gehört reagiert. Man darf nicht so lange warten, bis es gesellschaftliche Verwerfungen gibt und man die Leute an den linken und rechten Rand treibt.

STANDARD: Vielen Menschen laufen die Kosten davon. Darf man diesen den Griff zum günstigen Schnitzel und Importgemüse zum Vorwurf machen?

Lampert: Bio bremst die Inflation, ist aber im Schnitt um 20 bis 30 Prozent teurer als Konventionelles. Selbstverständlich wird der Druck darauf steigen. Dennoch sollten Landwirtschaft und Lebensmittel keine Religion sein. Ich würde Menschen, die all ihre Kraft brauchen, um über die Runden zu kommen, auch niemals moralisch unter Druck setzen. Ich glaube aber an das Bewusstsein und die Erkenntnis, die sie erlangen. Und ich sehe, wie interessiert viele Junge an Veränderungen sind. Ich selbst bleibe ein Herold der biologischen Landwirtschaft. Sie ist die Zukunft, damit wir uns eine lebenswerte Welt erhalten.

STANDARD: In Salzburg ging der Anteil an Biobauern jüngst stark zurück.

Lampert: Um gut zehn Prozent. Dies hängt auch mit der EU zusammen, die Verordnungen ordentlich umgesetzt sehen will. Österreich hat diese zu lange nicht ernst genommen. Biorinder ohne Weide zu halten – das kann doch nicht sein. Diese Verordnung gibt es seit 20 Jahren, sie fällt nicht vom Himmel. Jetzt macht die EU Druck – und Bauern steigen aus Bio aus, weil es aufwendiger ist.

STANDARD: Der Druck auf die Lebensmittelpreise ist hoch. Bleiben Bio, Regionalität und Tierwohl im Zuge der starken Inflation auf der Strecke?

Lampert: Die EU gab das Ziel von 30 Prozent biologischen Landbau vor. Ich kann nicht erkennen, dass Österreich diesen Anteil im Auge hat. Landwirtschaftspolitik bedeutet in Österreich Klientelversorgung. Die Inflation für Lebensmittel beträgt 14,6 Prozent, jene für Bio 7,5 Prozent. Kunstdünger wurde sehr teuer. Allein um ihn herzustellen und auszubringen, werden jährlich 2,6 Milliarden Tonnen CO2 produziert – mehr als der gesamte Flug- und Schiffsverkehr weltweit ausstößt. Wir aber jammern über die hohen Kunstdüngerpreise, anstatt neue Wege in der Landwirtschaft zu gehen.

Werner Lampert: "In Österreich bedeutet Landwirtschaftspolitik Klientelversorgung."
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STANDARD: Sie waren lange Vegetarier. Essen Sie wieder Fleisch?

Lampert: Als wir Biofleisch eingeführt haben, habe ich wieder damit begonnen, weil ich wissen wollte, was wir verkaufen. Zu Hause esse ich es vielleicht einmal im Monat.

STANDARD: Zu Tode getretene Hühner, verwahrloste und schwer verletzte Schweine. Der Blick in österreichische Ställe und Schlachtbetriebe verstört. Sind Missstände wie diese Einzelfälle, oder haben sie System?

Lampert: Ich habe viele Schlachthöfe und Betriebe gesehen. Es sind Auswüchse, die immer wieder vorkommen, die mitunter auch System haben, wenn der Preisdruck zu groß wird. Es ist aber nicht die gelebte Gegenwart.

STANDARD: In Österreich fühlen sich viele Landwirte und Fleischverarbeiter zu Unrecht an den Pranger gestellt. Braucht es dennoch Skandale wie diese, um die Branche wachzurütteln?

Lampert: Wirklichkeiten zu zeigen ist nie kontraproduktiv. Man muss sie ansehen, hinsehen, Konsequenzen daraus ziehen und Veränderungen vornehmen. Solche Sachen gehören aufgezeigt. Das hilft letztlich auch Bauern, die vernünftig und anständig mit ihren Tieren umgehen.

STANDARD: Wird Fleischproduktion ausreichend kontrolliert?

Lampert: Im Prinzip ist die Kontrolle gut, viele Länder im Ausland beneiden uns darum. Aber die Vorfälle zeigen, dass man Kontrollen anders aufsetzen und kritische Fälle besser im Auge behalten muss.

STANDARD: Supermärkte und Wirte haben Fleisch jahrelang als Lockartikel benutzt. Welche Verantwortung tragen Handel und Gastronomie an den Auswüchsen der Fleischindustrie?

Lampert: Jeder von uns trägt dafür Verantwortung. Es bedarf der Anstrengung aller, damit solche Missstände Einzelfälle bleiben.

STANDARD: Würden Sie Werbung für Billigfleisch verbieten?

Lampert: Ich würde sie nicht verbieten. Ich würde einfordern, ganz genau aufzulisten, unter welchen Umständen Tiere gehalten werden. Das muss vollkommen transparent sein, darüber zu schweigen und damit zu werben ist eine Niedertracht und perfide. Wer damit wirbt, der sollte den Mut dazu haben, offenzulegen, welches Leben und welchen Tod die Tiere haben.

STANDARD: Wie realistisch ist deutlich sinkender Fleischbedarf? Machen es sich Gesetzgeber zu leicht, sich auf die Macht der Konsumenten auszureden?

Lampert: Wir sind bei knapp unter 60 Kilo im Jahr pro Kopf in Österreich. Vor kurzem waren es über 88 Kilo. Der Fleischkonsum, vor allem von Schwein, sinkt in fast allen Ländern Westeuropas. Für Landwirtschaft, die Wasser, Umwelt und Biodiversität nicht zerstört, müssen wir weniger Fleisch essen. Vegane Produkte werden geschmacklich besser. Greifen zehn Prozent der Menschen dazu, ist schon viel getan.

"Wer nicht den Mut hat, auf Produkte draufzuschreiben, wie Tiere gehalten, transportiert und geschlachtet wurden, sollte lieber schweigen", sagt Werner Lampert.
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STANDARD: Tierschützer nahmen innerhalb eines Jahres ein halbes Dutzend Betriebe ins Visier. Viele waren AMA-zertifiziert. Welchen Wert hat dieses Siegel für Konsumenten noch?

Lampert: Ich halte die Grundidee für gut, für Bauern wie für Konsumenten. Die Umsetzung scheint einen Tiefpunkt zu haben. Dennoch würde ich das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Es jetzt zu verteufeln, ist leicht und wäre ein Fehler. Werden Kontrollen und Qualität verbessert, hat es immer noch Zukunft.

STANDARD: Der Handel übt sich in eigenen Tierwohlprogrammen, verleiht sich individuelle Siegel und kontrolliert sich quasi selbst. Ist das der Weisheit letzter Schluss?

Lampert: Es gibt für Tierwohl kein Regularium, kein Gesetz, keine Verordnung. Viele nehmen es also selbst in die Hand und versuchen es besser zu machen. Kontrollieren jedoch müssen unabhängige Stellen. Sonst sieht es gemauschelt aus.

STANDARD: Viele Menschen verwirrt die Flut an diversen Standards.

Lampert: Das mag sein. Aber es gibt eine Dynamik, Lebensmittel in der Qualität zu verbessern. Wettbewerb halte ich hier für ganz gut.

STANDARD: Was halten Sie von der geplanten freiwilligen Kennzeichnung der Tierhaltung in Österreichs Handel?

Lampert: Es ist Blödsinn. Eine Branchenlösung ist eine Nulllösung. Es fehlt der Mut, etwas Ernsthaftes auf die Beine zu stellen. Die Modelle in Deutschland sind klar und gut.

STANDARD: Händler beklagen, dass sich mehr Tierwohl schlecht verkauft.

Lampert: Die Leute täuschen, ihnen nicht die Wahrheit sagen und ihnen dann hinterrücks vorwerfen, zu wenig zu kaufen, ist zynisch. Wer nicht den Mut hat, auf Produkte draufzuschreiben, wie Tiere gehalten, transportiert und geschlachtet wurden, sollte lieber schweigen.

STANDARD: Schweine dürfen bis Ende 2039 auf Vollspaltenböden gehalten werden, um Betriebe finanziell nicht zu überfordern. Was sagt das über den Zustand der Landwirtschaft aus?

Lampert: Deutschland stellt für ein Jahr eine Milliarde Euro zur Verfügung, um Bauern zu helfen, Ställe zu verbessern. Diesen Weg muss man gehen. Wer unter furchtbaren Konkurrenzverhältnissen arbeitet, einen Haufen Schulden hat, verzweifelt sonst. Aber natürlich ist es völlig unhaltbar und moralisch letztklassig, so lange zu warten, um die Vollspaltenböden abzuschaffen. Es ist auch für die Umwelt katastrophal. 45 Prozent des Feinstaubes der Landwirtschaft lassen sich auf diese Art der Haltung zurückführen. Es geht uns als Gesellschaft alle was an. Es gehört gemeinsam gelöst. Tierleid verschwindet nicht im Kosmos.

STANDARD: Greenwashing erfreut sich größter Beliebtheit. Schafft es die Biobranche, sich davon abzugrenzen?

Lampert: Bio ist etwas Langfristiges. Es funktioniert, ist ein herzeigbares, transparentes System ohne Alternative. Viele träumen von neuer Gentechnik und digitalisierter Landwirtschaft. Das kostet einen Haufen Geld. Den Bauern nimmt es den letzten Rest Freiheit. Sie werden zu Industriearbeitern.

STANDARD: Verspielt Österreich seinen Ruf als Feinkostladen Europas?

Lampert: Hat Österreich diesen nicht schon längst verloren? Das war ein Traum von zwei Ministern. Davon sollten wir nicht zehren. (Verena Kainrath, 28.5.2023)