Alle reden über die SPÖ. Mit ebensolcher Berechtigung kann man aber auch über die Ziellosigkeit und Verwirrtheit der anderen großen Traditionspartei reden, der ÖVP.

Die Desorientierung der Volkspartei zieht auch bürgerlich-liberale Autoren an, die zwar mit dem oft spießigen Milieu der ÖVP nicht viel anfangen können, aber doch davon ausgehen, dass es in einer Gesellschaft unbedingt auch gemäßigte, anständige, staatstragende konservative Parteien geben muss. Zwei neue Bücher handeln von diesem Leiden der Liberalen an der Entwicklung der Konservativen zu Rechtspopulisten.

Armin Thurnher, Gründer und Herausgeber des Falter, bereichert den Diskurs alle paar Jahre mit brillanten Zustandsbeschreibungen Österreichs. Sein neues Buch, Anstandslos. Demokratie, Oligarchie, österreichische Abwege (Zsolnay) widmet sich fast ausnahmslos dem Anstandsverlust der Konservativen: "Wann und wo genau verloren die ihre Würde? Als sie mit den Rechtsextremisten der FPÖ koalierten? Als jene türkise Gang, die Sebastian Kurz ins Kanzleramt schummelte, weder Umfragebetrug noch Medienkorruption scheute?"

Gelingt die "konservative Wende" nach der Ära von Sebastian Kurz?
Reuters/Lisa Leutner

Diese Fragen zu stellen heißt, sie zu beantworten. Thurnher ist nicht allein mit seiner Diagnose über die Verheerungen, die der Blender Kurz angerichtet hat. Das Buch ist allerdings eine Verdichtung auf 126 Seiten ebenjenes Wechsels zur Herrschaft der kommunikationsbegabten Dummschlauen. Diese Herrschaft hält an, aber in der Billigausgabe: "Das Rhizom des Kurzismus wächst weiter, ob er nun da oder weg ist. Der Rest besteht aus schwachen Leuten, die, ungeschickter als Kurz, dessen schlechte Praxis bockig fortsetzen: Boulevardkorruption, Machtmissbrauch, Alimentierung der Reichen, Erschleichung der Volksgunst mit Terrorisierung der Migranten."

Thurnher sieht die Notwendigkeit eines "Neuaufbaus des Staates (…), einer neuen Legitimation des Öffentlichen, des allgemeinen Wohls (…) Der Privatisierung von allem muss Einhalt geboten werden. Sie zielt unweigerlich aufs Illiberale, auf den autoritären Staat; auf die Demokratie ohne Demokraten."

Oliver Scheiber ist Jurist und Vorstandsmitglied mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen. Sein kleiner Band heißt gleich Die Krise der Volkspartei. Konservative Wende oder konservatives Ende (bahoe books). Das erste Kapitel, "Der Weg zurück zur staatstragenden bürgerlichen Partei", ist zugleich Diagnose und Therapieaufforderung.

Auch für Scheiber ist der Kurzismus die Quelle des Übels: "Bereits mit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Sebastian Kurz hat die Volkspartei die politische Mitte verlassen (…) Die ÖVP vergab in den letzten Jahren alle Chancen, sich zu einer modernen, konservativen Sammelpartei zu entwickeln. Stattdessen schlug sie den Weg zu einer provinziellen rechtspopulistischen Bewegung ein." Das sei einer der Gründe, warum sie keine starken Persönlichkeiten mehr für sich gewinnen könne.

Scheiber listet zehn Vorschläge auf, die zu einer "konservativen Wende" führen können, aber auch zehn, die ein "konservatives Ende" bringen. Für Letzteres müsste sie nur den Weg der letzten Jahre konsequent weitergehen. Für eine konservative Wende hingegen fordert er einen Bruch mit der Ära Kurz, eine völlige personelle Neuaufstellung auf Bundesebene, gefolgt von einer Kehrtwende etwa bei der Zuwanderungspolitik oder bei der restriktiven Bildungspolitik, die ins 21. Jahrhundert gebracht gehöre.

Und was, wenn nicht? "Die ÖVP wird nicht so schnell untergehen", schreibt Scheiber. Aber "sie wird, wenn sie den aktuellen Kurs weiterführt, als zweite, allerdings kleinere rechtspopulistische Partei neben der FPÖ weiterexistieren". (Hans Rauscher, 26.5.2023)